Sozialistische Zeitung |
Linke bei den Grünen - gibt es das noch? Natürlich, zumindest in Nordrhein-Westfalen. Doch bei
der Aufstellung der Liste für die nächste Landtagswahl kamen die Linken nicht mehr zum Zuge. "Grünen-Mehrheit
schließt für interne Gegner die Tür", so die Presseschlagzeilen am Tag danach.
Mitregieren um jeden Preis: Schon im Herbst hatte die Grüne
Landtagsfraktion ihre Hochschulpolitische Sprecherin Ingrid Fitzek demontiert. Fitzek hatte der Fraktion empfohlen, das geplante
Landeshochschulgesetz abzulehnen und damit einen Hauskrach mit dem Koalitionspartner SPD in Kauf zu nehmen. Die Fraktion lehnte ab,
Fitzek trat zurück. Jetzt werden diejenigen, die einer Koalition kritisch gegenüber stehen, schon gar nicht mehr in den Landtag
gelassen. Übrig bleiben nur die sogenannten "Regierungslinken" wie Bärbel Höhn, die Umweltministerin des
Landes. Die Koalition mit der SPD würde sie nie in Frage stellen. Dafür äußert sie sich schon mal hier und da etwas
"linker" als ihre Realo-KollegInnen. In der Praxis bedeutet das nichts.
Die Empörung bei den Ausgeschlossenen ist groß. Daniel
Kreutz, vor seiner Grünen-Zeit Mitglied der Gruppe Internationale Marxisten (GIM) und demnächst Ex-Landtagsabgeordneter,
spricht von "Säuberung". An der Programmdiskussion im Februar wolle er sich zwar beteiligen, aber gleichzeitig empfiehlt
er, "sich in Politiknetzwerken zu organisieren, die Gesellschaftsveränderung im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung und
nicht der wohlhabenden Minderheit wollen". Noch drastischer - und resignativer - äußert sich Andreas Gebhard, Sprecher
des Grün-Alternativen Jugendbündnisses: "Speziell durch den Kriegskurs können sich Linke in den Grünen nicht
mehr heimisch fühlen. Als Konsequenz ziehen sie sich zurück, und der Rechtsschwenk der Grünen ist praktisch komplett
vollzogen." Jetzt mache jedeR für sich aus, wo er oder sie weiter Politik betreiben wolle. Wer bleibe, müsse schon sehr
genau aufpassen, nicht als Feigenblatt für einen verfehlte Politik rüber zu kommen. Auch Gebhard scheiterte bei seinem Versuch,
auf die Landesliste gewählt zu werden.
Auch wenn der Anlass für den Ausschluss der Machterhalt in
Düsseldorf gewesen sein mag. Dahinter steckt mehr, nämlich eine Absage der Grünen-Mehrheit in Nordrhein-Westfalen, die
Linke an der Macht zu beteiligen. Kreutz fliegt raus, Gebhard kommt erst gar nicht rein. Die Reaktionen von Kreutz und Gebhard verdeutlichen,
dass sie sich des Einschnitts sehr wohl bewusst sind. Abzuwarten bleibt, was die Abgekanzelten jetzt machen werden. Politiknetzwerke, also
de facto außerparlamentarische Politik, könnten ihnen beim Machtentzug helfen. Und auch dabei, wieder die eigenen politischen
Vorstellungen zu verfolgen, statt sie in Pseudo-Kompromissen mit der Realo-Mehrheit ins Gegenteil verkehren zu lassen.
Und um gleich Ernüchterung einkehren zu lassen: Wann die
nächste Gelegenheit kommt, die eigenen linken Vorstellung in Realpolitik umzusetzen, steht in den Sternen. Nach der Verwandlung der
Grünen zur Kriegspartei ist ein neues linkes Massenprojekt kaum in Sicht. Aber trotzdem ist die politische Landschaft jenseits der
Grünen und jenseits der Parlamente nicht tot. Hier und da existieren Netzwerke oder BürgerInneninitiativen. Die gute alte Anti-
AKW-Bewegung lebt immer noch - und sie ist notwendiger denn je, gerade um der "Regierungslinken" ordentlich einzuheizen. Und
nur außerparlamentarisch besteht momentan die Möglichkeit, der politischen Linken neues Leben einzuhauchen.
Betr.: Gauck-Interview im Tagesspiegel vom 7.11.99
Heute hören wir von Ihnen, nun sei in Deutschland erreicht,
wofür damals die Opposition in der DDR und die Bürgerbewegungen des Herbstes 1989 gekämpft haben. Zwar seien im
Osten und im Westen die Verhältnisse noch verbesserungswürdig, ja sogar mitunter kritikwürdig, aber nun sei es jedem
Bürger möglich, im demokratischen Rechtsstaat durch tätige Mitwirkung alles zum Besseren zu wenden. Nur sei es schade,
dass das noch nicht alle verstanden haben.
Kommt Ihnen das nicht irgendwie bekannt vor? Erinnern Sie sich noch, wie
uns in der DDR die Verhältnisse schöngeredet wurden? Dass wir uns als "Sieger der Geschichte" in der DDR seinem
Staatswesen und dessen Zielen durch aktive Mitarbeit würdig zu erweisen hatten?
Erinnern Sie sich noch an die Forderungen der Bürgerbewegungen
des Herbstes? Wir wollten nicht nur die Stasi auflösen, sondern wollten überhaupt keine Geheimdienste mehr. Wir wollen auch in
keinem demokratischen Abhörstaat leben. Wir wollten nicht nur reisen, sondern wir wollen auch ein Land, in dem Flüchtlinge nicht
wie Ballast verwaltet und "entsorgt" werden, sondern wo gleiches Recht für alle gilt. Wir wollten nicht nur den Warschauer
Pakt verschwinden sehen, sondern wir wollen überhaupt keine Militärblöcke mehr, die über die Armeen ihrer
Mitgliedstaaten für Kriegseinsätze verfügen. Wir wollten stattdessen ein kollektives Sicherheitssystem, das alle Armeen
bändigt, ob sie nun gegen ihr eigenes Volk oder andere Völker das Feuer eröffnen. Wir wollen weder Waffenexporte noch
Unterstützung für Diktaturen, in denen wie in der Türkei ein ganzes Volk geknechtet wird.
Wissen Sie noch was in dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches
stand? Er enthielt viele unserer Forderungen von damals. Prüfen Sie bitte nach, was davon heute Wirklichkeit ist. Erinnern Sie sich noch
an die Sozialcharta des Runden Tisches? Und erinnern Sie sich daran, warum und auf wessen Veranlassung dies alles beim Einigungsprozess
im Papierkorb verschwand? Wir wollten nicht nur mehr Mitbestimmung, wir wollten Teilhabe und Selbstbestimmung. Wir wollten nicht nur die
papierene Freiheit, sondern auch soziale Gerechtigkeit. Fragen Sie die vielen Arbeitslosen, fragen Sie vor allem auch die Frauen aus der
ehemaligen DDR, was sie von der Koexistenz von Meinungsfreiheit und Obdachlosigkeit, von Versammlungsfreiheit und Erwerbslosigkeit, von
Reisefreiheit und Sozialhilfebedürftigkeit halten.
Aber Sie denken heute, wir sollten als Bürger des beigetretenen
Viertels bescheidener sein. Dieser Zug zur Bescheidenheit ging uns damals, im Herbst 1989, vollständig ab. Und es wird Zeit, dass wir
nicht nur in Neufünfland, sondern in ganz Deutschland diese Unterwürfigkeit abschütteln. Nur wer die Neigung zur Anpassung
und das Vertrauen in Parteien und Ministerien, die unsere Angelegenheiten zu unserem Schaden verwalten, überwindet, wird etwas
verändern. Auf Sie und viele unserer alten Mitstreiter, die in Amt oder Mandat ihren Frieden mit dem Bestehenden gemacht haben,
müssen wir wohl verzichten. Vorerst aber sprechen wir Ihnen das Recht ab, sich auf uns zu berufen, wenn Sie über die Opposition
in der DDR sprechen.