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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 25.11.1999, Seite 5

Zehn Jahre Bauausstellung Emscherpark

Von der IBA zur Agentur Ruhr

Sechs Monate dauerte das Finale der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark. Zweitausend Gäste waren zum Festakt nach Duisburg-Meiderich gekommen, um an der großen Abschlussfeier teilzunehmen. In Herne, in der Fortbildungsakademie Mont Cenis, zollte Bundespräsident Rau dem zehnjährigen Wirken großes Lob. Im Ruhrgebiet sei Zukunft gebaut, sagte der frühere NRW-Regierungschef auf der Festveranstaltung.
Ilse Brusis (SPD), die jetzige Städtebauministerin, schwärmte in Gelsenkirchen: Zehn Jahre Wandel mit der IBA hätten das Ruhrgebiet voran gebracht. Durch das beispiellose Erneuerungsprojekt habe das Ruhrgebiet einen Modernisierungssprung gemacht. Brachflächen seien als Gewerbeparks wiederbelebt und Siedlungen modernisiert worden. In den 75 Kilometer langen Emscherpark habe man schließlich nicht weniger als eine Milliarde Mark für Natur und Schönheit auf den ehemaligen Industrieflächen ausgegeben. Hochglanzbroschüren und ganze Bilderserien preisen die Modernisierung der Region.
Der Niedergang der Montanindustrie war der Anstoß für die IBA gewesen, eine Region nicht dem Verfall preiszugeben, sondern deren Entwicklungsziel neu zu bestimmen. Der damalige Städtebauminister Christoph Zöpel nannte zu Beginn der IBA 1989 als vorrangigste Ziele den ökologisch-wirtschaftlichen und den sozialen Umbau des ausgezehrten Emscherraums.
Wirken und Erfolg der IBA lassen sich nicht beurteilen, wenn lediglich über neue Industriedenkmäler, über umgebaute Fabriken mit Rockkonzerten, über Landschaftsparks und über das "Weltkulturerbe" auf der Zeche Zollverein in Essen gesprochen wird.
Wer allerdings die Hoffnung hegte, die IBA könne strukturelle Probleme beseitigen, der musste sich am Ende enttäuscht sehen. Immerhin, entstanden sind Ansätze für eine Planungsstruktur über die Stadtgrenzen hinweg.
Die Emscherregion ist viel zu groß, als dass sie durch IBA-Projekte hätte umgestaltet werden können. Dies war auch den Planern bewußt, als sie erklärten, die IBA könne nur Modellcharakter haben. Die IBA formulierte ihre Ziele nicht in einem Entwicklungsplan im herkömmlichen Sinne der Regional- und Bauleitungsplanung. Sie hatte bestimmte Leitthemen und Qualitätsstandards für einzelne Projekte. Sie konnte für bestimmte Aktionsfelder neue, in erster Linie mittelfristige Entwicklungsperspektiven benennen.
Es war Professor Rolf Kreibich, wissenschaftlicher Direktor der IBA Emscherpark des Landes NRW und Direktor des Sekretariats für Zukunftsforschung in Gelsenkirchen, der in einem Grundsatzpapier sieben Leitprojekte zusammenfasste:
1. Wiederaufbau von Landschaften, 2. ökologische Verbesserung des Emscher-Systems, 3. Rhein-Herne-Kanal als Erlebnisraum, 4. Industriedenkmäler als Kulturträger, 5. neue Wohnformen und Wohnungen, 6. Arbeiten im Park, 7. neue Angebote für soziale, kulturelle und sportliche Tätigkeiten. Von diesen Vorstellungen und Projekten wurden in den letzten zehn Jahren 92 Einzelmaßnahmen durchgeführt.
Die IBA war weder mit eigenen Investitionsmitteln noch mit besonderen rechtlichen Kompetenzen ausgestattet. Nur die Landesregierung verfügte über Geld. Alle ihre Projekte wurden nach den herkömmlichen Verfahren des Landes genehmigt und gefördert. Wenn ein Projekt das IBA-Etikett erlangte, rückte es gleichsam an die Spitze der Förderungsprogramme des Landes. Dadurch war die Finanzierung faktisch gesichert.
Die IBA hatte ihre Grundsätze in einem Memorandum zusammengefasst und verbreitete dies auf der Basis eines allgemeinen Ideenaufrufs in der Region. Daraufhin wurden über 400 Vorschläge von unterschiedlichen Einsendern und Einsenderinnen zu den verschiedensten Projekten eingereicht. Die Arbeit der IBA bestand darin, in Auseinandersetzung mit den Initiativen aus der Region die eigentlichen Leitideen zu konkretisieren und die vorgeschlagenen Projekte und Ideen zu verbessern.

IBA von unten
Der Aufruf der Landesregierung an die Bürgerinnen und Bürger der Emscherzone, an der IBA mitzuarbeiten, zeigte, dass es zahlreiche Gruppen, Initiativen und Einzelkämpfer gab und gibt, die bereit sind, sich intensiv mit der Geschichte der Region und der einzelnen Orte sowie mit deren Besonderheiten zu befassen.
Kurz nach dem Aufruf der Landesregierung fanden sich in Dortmund 50 Projektgruppen zu einem ersten Treffen zusammen. Dieses Treffen wurde von der Dortmunder Gruppe "Institut für alternative Kommunalplanung" organisiert.
Im August 1995 bildete sich ein "Initiativkreis Emscherregion", der sich "IBA von unten" nannte. Zur Halbzeit der IBA, fünf Jahre nach deren Beginn, veranstaltete die "IBA von unten" einen Kongress und gab dazu eine beachtliche Dokumentation heraus, in der es heißt: "Der soziale Sprengstoff in der Region, Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und Ausländerfeindlichkeit wird durch die IBA nicht entschärft." Der Kongress machte in Redebeiträgen und in der Dokumentation deutlich, dass viele der ursprünglich formulierten Ziele der IBA nicht umgesetzt oder gar nicht erst in Angriff genommen worden sind.
Auf dem "IBA-Kongress von unten" wurde besonders über soziale Strategien nachgedacht und kritisch diskutiert. Festgestellt wurde, dass die IBA nur modellhaft aufzeigt, wie soziale Aspekte im Rahmen der Bildungs-, Stadt- und Wohnpolitik aufgearbeitet werden können.
In den ausführlichen Berichten über die sozialen Verhältnisse wiesen unter anderem Professor M.Krummacher und Dr.Veronika Waltz darauf hin, dass im Planungsbereich etwa 220.000 "Ausländer" leben und die Lebenslage dieser Bevölkerungsgruppe von sozialer Benachteiligung gekennzeichnet ist.
Der Rückgang der Montanindustrie hinterließ als schwerste Hypothek eine strukturelle Arbeitslosigkeit, auf die die IBA kaum eine richtige Antwort geben wollte. Die Vertreter der IBA waren der Meinung, dass die Internationale Bauausstellung nicht in erster Linie Sozialpolitik betreiben könne.
Zum Abschluss der Internationalen Bauausstellung hat die "IBA von unten" am 23. und 24.Oktober eine eigene Abschlussveranstaltung in der Zeche Carl in Essen durchgeführt. Noch liegen die schriftlichen Ergebnisse davon nicht vor. Die Tagung war angekündigt unter der Überschrift "Emscherdämmerung - Eine Region auf der Suche nach ihrer Zukunft". Bisher hat nur die WAZ einen kurzen Bericht geschrieben, in dem es heißt: "Kritisches Bündnis lädt zum Kongress ein, IBA hinterlässt Kathedralen in der Wüste."

"Agentur Ruhr"
Wie soll es nun weitergehen? Die Landesregierung von NRW will eine neue "Agentur Ruhr" mit dem IBA-Erbe betrauen. Es war wieder einmal Ministerpräsident Clement, der die Agentur geplant hat und durchsetzen will.
Bisher oblag dem Kommunalverband Ruhr (KVR) die Organisation für Straßenbau, Landschaftsparks, Verwaltung von Heimen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Mit der Agentur Ruhr, so Clement, werde das Ruhrgebiet die "modernste" Regionalverfassung Europas haben. Modernisierer Clement plant eine Holding mit 80 Beschäftigten. Beabsichtigt ist, vor allem den Unternehmergeist zu wecken, an dem es im Revier angeblich mangelt. Die Unternehmer sollen nicht verwalten, sondern agieren. "Wir müssen dringend Tempo machen", meint Clement.
Nach Clements Vorstellungen wird der Kommunalverband im Jahre 2000 aufgelöst. Alle 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Essen, dem Sitz des KVR, sollen von den Revierstädten übernommen werden. Diese aber weigern sich, weil sie die Personalkosten nicht übernehmen wollen. Das KVR-Personal sieht sich auf einem Verschiebebahnhof mit ungewissem Ziel und knurrt gewaltig, wie in der Öffentlichkeit zu hören ist.
Professor Karl Ganser, der bisherige Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung, auch der "quirlige Mr.Ruhrgebiet" genannt, ist voller Tatendrang. Ihm obliegt es, die Agentur noch in diesem Jahr so einzurichten, dass sie Mitte 2000 voll arbeiten kann. Wenn Clement seine Vorstellungen durchdrücken kann, wird die Agentur als GmbH für die Pflege des Emscherlandschaftsparks, für die Industriekultur, für Tourismuskonzepte sowie für die Entwicklung von regional bedeutsamen Wirtschaftsstandorten zuständig sein. Greift der Referentenentwurf, bleiben die Städte auf den Defiziten ihrer Revierparks sitzen. Die Parkanlage zwischen Essen und Gelsenkirchen, der Nienhausen-Park, wird 1999 zwei Millionen Mark Minus machen.
Doch das Modell ist umstritten. Die Union lehnt es ab, weil sie für das Revier einen Regionalverband mit starken Zuständigkeiten will. Auch die Grünen befürworten den Bezirk Ruhr. Für die "Agentur Ruhr" hat sich nur die SPD ausgesprochen. Durch die Kommunalwahl vor zwei Monaten hat sich allerdings die politische Landschaft verändert. Die CDU regiert in vielen Städten und kann mit den Grünen Bündnisse schließen.
Wenn die politischen Streitigkeiten ausgetragen sind, stellt sich die Frage, ob noch mehr Freizeitparks, Filmpaläste und Sportarenen gebaut werden müssen. Derartige Zentren und die Kauferlebniswelt der Warenhäuser sind angesichts neuer Entlassungswellen im Ruhrgebiet, von der zuletzt wieder 24.000 Bergleute betroffen sind, ein Skandal.
Willi Scherer
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