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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 25.11.1999, Seite 9

Südafrika

ANC will strukturelle Nachteile überwinden

Mit dem Ende des Apartheidregimes ging auch eine Aufhebung der wirtschaftlichen Isolierung Südafrikas einher. Wie wird sich die neue südafrikanische Regierung bei der kommenden Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation verhalten? Wird sie eine Kraft repräsentieren, die der Bevölkerung des Südens als Hoffnungsträger gilt? Oder wird sie in die neoliberale Arena einsteigen, um dort für ihren Standort das Beste herauszuholen? Mit Kato Lambrechts, Mitarbeiterin des Instituts für Globalen Dialog in Johannesburg und WTO-Expertin, sprach Gerhard Klas für die SoZ über die südafrikanische Allianz, den Freihandel und seine Folgeerscheinungen.

Welchen Stellenwert haben die kommenden Verhandlungen der WTO in der südafrikanischen Öffentlichkeit?
Kato Lambrechts: In Südafrika wissen nur wenige, eingeschlossen soziale Bewegungen und kommunale Selbstorganisationen, was die WTO ist - geschweige denn, welche Auswirkungen sie auf ihr Land hat. Deswegen sehen wir unsere Aufgabe darin, Informationen über die WTO zu verbreiten und aufzuklären, indem wir Referate und Bildungsveranstaltungen anbieten. Eine wesentliche Rolle spielt dabei CANSA (Campaign Against Neoliberalism in South Africa). Das ist ein Netzwerk, dass Basisorganisationen, NGOs, Gewerkschafter und Arbeiterinitiativen zusammenbringt. Von dieser Seite gab es ein überwältigendes Interesse an unserer Aufklärungsarbeit zur WTO.
Uns geht es um die Darstellung der WTO als Institution, die nicht nur formale, wirtschaftliche Entscheidungen trifft, sondern in einem hohen Maße politisch agiert. Offen zeigten sich auch einige Gliederungen der South African Communist Party (SACP), die ebenfalls wenig Ahnung von den Auswirkungen des globalen Freihandels haben. Differenzen zwischen den Gewerkschaften und einigen Vertretern der Zivilgesellschaft zur Frage der Sozialklauseln in der WTO erschweren zudem ein gemeinsames Vorgehen.

Woran machen sich diese Gegensätze fest?
Vom Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) gibt es die Vorgabe, dass die WTO Sozialstandards auf die Tagesordnung setzen und ihrem Entscheidungs- und Sanktionsmechanismus, dem Dispute Settlement Body (DSB), unterwerfen soll. Doch nahezu alle afrikanischen NGOs, aber auch einige Regierungen, halten die WTO für den denkbar schlechtesten Ort, um Arbeits- und Sozialfragen zu schlichten. Vor allem, weil die Strafmechanismen der WTO in Handelssanktionen bestehen, die bisher sehr einseitig angewendet wurden. In Südafrika ist es der Gewerkschaftsdachverband COSATU, dessen Führungsriege die IBFG-Linie unterstützt.
Was die WTO für die Gewerkschaftsführungen so interessant macht, ist ihr Durchsetzungsvermögen. Keine andere internationale Organisation war mit der Installierung von Sanktionsmechanismen so erfolgreich wie die WTO. Nun wollen die Gewerkschaften ihre Inhalte mit diesem Instrument verbinden. Der Ansatz greift natürlich zu kurz. Stattdessen ist vielmehr notwendig, die Funktionsweise der WTO zu analysieren. Dann würde man schnell feststellen, dass der Sanktionsmechanismus für Entwicklungsländer kaum nützlich ist, denn ihnen fehlen die Kapazitäten, um ihn überhaupt für ihre Interessen in Gang setzen zu können. Dazu gehören die fehlenden finanziellen Möglichkeiten, das Knowhow, die Experten, die Motivation. Sie sind nicht in der Lage, den angeblich dem Gleichheitsgrundsatz verpflichteten Mechanismus für ihre Anliegen zu nutzen.

Was sind die konkreten Auswirkungen des Freihandels seit der WTO-Gründung auf Südafrika?
Als Südafrika 1994 das Gründungsabkommen von Marrakesch unterzeichnete, war das alte Apartheidregime noch an der Macht. Sie verhandelten über Zollbestimmungen, als wäre Südafrika bereits ein entwickeltes Land. Anders als in den übrigen internationalen Institutionen gibt es nämlich in der WTO keine Kategorien entlang objektiver Kriterien, die zwischen entwickelten und Entwicklungsländern unterscheiden.
Die Definition des alten Apartheidregimes stimmt natürlich nicht mit der Realität überein, sondern entsprach einem Wunschdenken. Die meisten Wirtschaftsbereiche in Südafrika sind hochgradig unterentwickelt und alles andere als konkurrenzfähig. Also stand die neue Regierung vor dem Problem, dass es in der WTO zwar bisher formal nicht unmöglich, aber ungeheur schwierig ist, einmal ausgehandelte Zolltarife wieder rückgängig zu machen. Die Regierung musste auf einer Verhandlungsgrundlage arbeiten, auf die sie selbst überhaupt keinen Einfluss genommen hatten.
Doch auch die neueren Debatten der Regierung Mbeki, das neoliberale Wirtschaftsprogramm (GEAR), die gesamte makroökonomische Politik stimmt nun mit den ehemals ausgehandelten Bedingungen überein: Privatisierungen, Deregulierungen und Öffnung des Marktes. Im Textilsektor, einem ehemals starken Wirtschaftsbereich, wurden die Einfuhrbestimmungen gelockert und billige Bekleidung importiert. Das hatte einen massiven Stellenabbau in der südafrikanischen Textilindustrie zur Folge. Diese Entwicklung wird durchaus registriert und führt zu massiven Protesten, z.B. von Gewerkschaften. Sie kritisieren die Regierung wegen der Herabsetzung der Zolltarife für Bekleidung.
Doch das größte Problem für die Länder des südlichen Afrika dürften die Agrarsubventionen sein, vor allem die der EU. Die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf die Bevölkerung sind sehr unmittelbar, z.B. auf die fruchtverarbeitende Industrie am westlichen Kap, die bisher eine der stärksten Sektoren der südafrikanischen Agrarindustrie war. Durch die Subventionen der EU sind die südafrikanischen Produzenten von dem für sie traditionell wichtigen japanischen Markt gedrängt worden. Große Unternehmen mussten daraufhin ihre Tore schließen.
Mehr als 4000 Saisonarbeiter stehen jetzt ohne Erwerbsmöglichkeit da, mehrere tausend Festangestellte, in erster Linie Frauen, haben ihren Job verloren. Trotz dieser verheerenden Auswirkungen ist es Südafrika als WTO-Mitglied verboten, seinerseits die fruchtverarbeitende Industrie zu subventionieren.
Ein weiterer Problemfall sind die Antidumpingbestimmungen. Hier hat Südafrika, das im vergangenen Jahr 141 Beschwerden in der WTO geführt hat, eine schizophrene Position. Normalerweise wurden die Antidumpingbestimmungen bisher von den Industrieländern gegen die Länder in der Dritten Welt genutzt.
Industrieunternehmen in Südafrika setzen diese Bestimmungen nun gegen Länder wie Swaziland ein, das billigere Kühlschränke herstellt, weil dort die Arbeitskosten niederiger sind. Das führt zu einer innerafrikanischen Konkurrenz. Die wirtschaftlich potenteren Staaten benutzen die Sanktionsmechanismen der WTO, um ihrer Position zu stärken. Früher waren es vor allem Japan, die EU und Australien, die Antidumpingbestimmungen auch gegen südafrikanische Exporte einsetzten. Heute wenden diese Bestimmungen Schwellenländer in Südostasien, Südafrika und Brasilien gegen ärmere Länder an.
Es ist schön, über Einigkeit zu reden. Aber de facto gibt es eine Trennung der Länder in der Dritten Welt. Das macht es schwierig, eine Koalition des Südens innerhalb der WTO zustande zu bringen. Die südafrikanische Regierung wird sich auch nicht den anderen Regierungen der Dritten Welt anschließen, die eine Einbeziehung neuer Bereiche in die WTO-Verhandlungen kategorisch ablehnen. "Wir wollen vorbereitet sein und nicht einfach nur alles ablehnen", lautet das Motto der südafrikanischen Verhandlungsteilnehmer.

In Harare haben sich Anfang Oktober verschiedene Verteter von Basisorganisationen aus mehreren afrikanischen Ländern getroffen, die eine Erweiterung der WTO um neue Sektoren kategorisch ablehnen. Wo verlaufen die Konfliktlinien?
In diesem Punkt gibt es Schnittmengen zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen und einigen Regierungen in Afrika. Doch wird auch hier wieder die Differenz zwischen Entwicklungsländern und südostasiatischen Schwellenländern deutlich. Letztere setzen sich offensiv für die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und Investitionen ein. In Afrika sind sich viele über die Auswirkungen eines Investionsabkommens sehr bewusst, denn die erfolgreiche Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) hat auch hier Spuren hinterlassen. Wir lehnen ein Investitionsabkommen in der WTO ab, denn das würde selbst die Perspektiven zur Entwicklung und Industrialisierung in Südafrika erheblich verschlechtern.
In der südafrikanischen Gesetzgebung gibt es zahlreiche Auflagen für ausländische Investitionen. Nach dem Scheitern des MAI hat die EU nun einen "weichen Ansatz" für ein solches Abkommen in der WTO entwickelt, dass in seiner Rhetorik der Kritik gerecht zu werden scheint. Allerdings sehen sie nach wie vor einen Mechanismus vor, der es Unternehmen erlaubt, Regierungen mittels des DSB zu sanktionieren. Das könnte für Südafrika etwa bedeuten, dass sich der Raum für die Gleichstellungspolitik im Arbeitsleben, die die strukturellen Nachteile der schwarzen Bevölkerung ausgleichen soll, drastisch einschränkt. Wir in Südafrika brauchen keine WTO, die uns in diesem Bereich Vorschriften macht.

Welchen Rückhalt findet diese Position in Südafrika?
Diese Position wird etwa von der SACP geteilt. Beim regierenden ANC gibt es jedoch viele Spaltungen. Seine Heterogenität - von nationalen Kapitalfraktionen bis hin zu radikalen Sozialisten - machen eine Einschätzung äußerst schwierig. Die Erfahrungen der letzten Zeit haben allerdings gezeigt, dass die Stimmen der Nationalisten die der Sozialisten im ANC mehr und mehr übertönen. In der größten Partei des Landes haben bisher keine Debatten über die WTO stattgefunden. Die würden auch die Schwierigkeit mit sich bringen, dass der ANC in diesem Zusammenhang sein makroökonomisches und neoliberales Wirtschaftsprogramm GEAR zur Diskussion stellen müsste, das voll und ganz mit den WTO-Positionen übereinstimmt. Und die würde wiederum die Allianz zwischen ANC, SACP und COSATU gefährden, deren Ansichten über die Erfolgsaussichten von GEAR weit auseinanderdriften.
Die WTO-Verhandlungen fallen in den Zuständigkeitsbereich von Alec Erwin, dem Minister für Handel und Industrie, der außerdem SACP-Mitglied ist. Gilt er den Kritikern der WTO als Hoffnungsträger?
Erwin, der früher auch zu den führenden COSATU- Mitgliedern zählte, ist vollständig in die GEAR-Politik eingestiegen. Er begründet seine Haltung mit den strukturellen Begebenheiten der globalen Ökonomie und vermittelt den Kritikern, dass er gerne anders handeln würde, aber nicht könnte. Wenn Südafrika seine Wirtschaft aufbauen wolle, müsse man die Möglichkeiten, die Strukturen wie die der WTO bieten, nutzen. Entgegen seiner gelegentlich radikalen Rhetorik ist sein Ansatz pragmatisch. Er setzt sich für weitere Liberalisierungsmaßnahmen ein.
Viele Mitglieder des CANSA-Netzwerks fühlen sich von Alec Erwin betrogen, weil er als ehemaliger Gewerkschaftsaktivist heute eine liberale Wirtschaftspolitik vertritt. Doch als Mitglied der Regierung ist seine politische Wende nichts ungewöhnliches, denn der Eintritt in diese Kreise ist zugleich mit einem Wechsel der Klassenzugehörigkeit verbunden. Auch wenn Leute wie Erwin das nicht gerne hören und weit von sich weisen.
Die Parteizugehörigkeit Erwins und seine Positionen zur WTO werden also nicht zu einer Polarisierung zwischen sozialistischen und neoliberalen Strömungen in der Allianz beitragen?
Nein, denn Erwin fühlt sich der Allianz und nicht der SACP verpflichtet. Die Entscheidungen werden die dominante Position innerhalb des Regierungsapparates reflektieren. Im Sprachgebrauch der ANC-Führung heißt das "konstruktives Engagement" innerhalb der globalen Wirtschaftsstrukturen. Erwin glaubt, Südafrika sei ein "starkes Entwicklungsland", das gemeinsam mit anderen Schwellenländern wie Indien und Brasilien in der WTO eine Koalition bilden könnte, um strukturelle Nachteile gegenüber den USA und der EU zu überwinden. Zu einem Abkommen über Investitionen hat sich Erwin bisher sehr ambivalent geäußert. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er eine Erweiterung der WTO-Verhandlungsrunde um diesen Punkt ablehnen wird.

Diskutiert CANSA Alternativen oder versucht, Visionen einer anderen Weltordnung zu entwickeln?
Es ist sehr schwer, harte Kritik zu üben und gleichzeitig Probleme zu lösen. Die Idee, die CANSA eint, ist zunächst die der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit auf einem internationalen Level. Die Einigkeit hat jedoch auch ihre Grenzen. Es ist beispielsweise nicht möglich, die Forderung nach Enteignung der Transnationalen Konzerne auf die Tagesordnung zu setzen. Dafür ist die Zusammensetzung von CANSA zu heterogen: Farmer und Kirchenleute - die meisten Schwierigkeiten haben aber die NGOs mit dieser Forderung. Bei einem SACP-Treffen ist es kein Problem, darüber zu debattieren. Doch in Netzwerken wie CANSA lösen solche Forderungen heftige Debatten aus. Da wir die Mitglieder zusammenhalten wollen, müssen wir zur Zeit auf diese Forderung verzichten.
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