Sozialistische Zeitung |
Das wohl umstrittenste Teilabkommen der Welthandelsorganisation ist das TRIPs (Trade-Related Aspects of
Intellectual Property Rights), das international die Rechte am geistigen Eigentum regelt. Die Patente beschränken sich dabei nicht auf
industrielle oder handwerkliche Innovationen, sondern betreffen auch die Biotechnologie. So können Personen oder Konzerne die Rechte
an Genen und deren Vermarktung erlangen. Die Nutzung von Pflanzen und Saatgut kann den Bauern daher künftig teuer kommen.
Fast täglich werden neue Lebewesen "erfunden":
Bäume mit weniger Lignin und mehr Zellulose, deren Holz besser als herkömmliches zur Papierproduktion taugt. Reis mit
eingebautem Provitamin A, der vor Erblindung schützen soll. Mais, dessen neue Gene Antibiotika produzieren oder der gegen
Unkrautvernichtungsmittel resistent gemacht wird. Matschfeste Tomaten, nylonabbauende Bakterienkulturen und Weinreben, die ein
eingepflanztes Weizengen gegen Mehltau schützt. Kein Wunder also, dass Wissenschaftler und Unternehmen, die in die Biotechnologie
investieren, sich ihre Entwicklungen und Erfindungen patentieren lassen wollen. Wissen und Knowhow werden immer wichtiger im weltweiten
Wettbewerb und haben einen entsprechend gestiegenen ökonomischen Wert.
Mit dem TRIPs-Abkommen über handelsbezogene Aspekte der
Rechte des geistigen Eigentums wurden 1995 die juristischen Grundlagen für ein internationales Patentrecht geschaffen. Die im
November beginnende Millennium-Runde der Welthandelsorganisation WTO soll den Vertrag konkretisieren, der die Unterzeichnerstaaten
verpflichtet, gegenseitig Patente - auch gentechnische - anzuerkennen, die Erfindungen zu schützen und bis zum Jahr 2005 ein eigenes
nationales Patentrecht umzusetzen. Die Welthandelsorganisation WTO wacht über die Einhaltung des Abkommens.
Seit Anfang September ist die Patentierung nun auch in Europa
möglich: Gentechnisch veränderte oder auch nur genetisch entschlüsselte Lebewesen können registriert und
geschützt werden wie Solarzellen oder Airbags. Doch dagegen regt sich Widerstand. Die strittige Frage: Dürfen Personen oder
Konzerne die Rechte über Lebewesen erwerben, nur weil sie deren genetisches Muster entschlüsselt oder verändert haben?
Vor allem in Entwicklungsländern regen sich massive Proteste gegen
diese Regelungen. Beispiele für die Fragwürdigkeit des neuen Rechts gibt es zur Genüge: Der asiatische Neembaum wird in
vielen Ländern traditionell und vielfältig genutzt. Extrakte seiner Blätter und Rinde leisten wertvollen biologischen
Pflanzenschutz, werden als Wasch- und Putzmittel verwendet und medizinisch eingesetzt. Durch die Isolierung eines Neembaum-Gens, das die
Produktion von Schädlingsabwehrstoffen in Gang setzt, sind die Patentrechte auf den Pflanzenwirkstoff nun in privaten Händen. Die
eigentlichen "Entdecker" aus Indien, Pakistan und Bangladesh gehen leer aus. Denn mit dem Patent erwirbt das Unternehmen
gleichzeitig die Vermarktungsrechte.
So auch ein US-Pharmakonzern, der sich die Rechte an einem
Immergrüngewächs aus Madagaskar sicherte, das seit jeher als Heilpflanze genutzt wurde und inzwischen erfolgreich in der
Krebstherapie eingesetzt wird. Das Unternehmen verdient damit mehr als 100 Millionen Dollar pro Jahr, während der afrikanische
Inselstaat allenfalls als Exporteur des Rohstoffs profitiert. Ähnlich verhält es sich mit Nutz- und Heilpflanzen aus den tropischen
Regenwäldern, aber auch mit alten Kulturpflanzen wie Mais, Weizen, Soja oder Bananen.
Sterile Saaten
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) stellte
kürzlich in einer Studie fest, dass 97% aller Saatgutpatente bei Unternehmen aus Industriestaaten liegen, während 90% der
biologischen Ressourcen aus den Ländern des Südens kommen. Für diese gehen nicht nur erhebliche Einnahmequellen
verloren, sie müssen - so steht zu befürchten - auch noch teuer bezahlen.
Denn gerade die Chemie- und Saatgutindustrie, meist ohnehin unter dem
Dach eines Konzerns vereint, stellt die Patente zu geschickt aufeinander abgestimmten Kombipackungen zusammen. Genveränderter Mais
etwa ist in der Regel nur in Verbindung mit einem passenden Pflanzenschutzmittel nutzbar. Er ist gegen das Pestizid resistent, das alle anderen
Pflanzen tötet und dem Mais unbedrängtes Wachstum ermöglicht. Nur: wenn Saatgut und Pestizid von ein und demselben
Unternehmen vermarktet werden, erhalten die Landwirte zwar ertragreiche und schädlingsresistente Saat, begeben sich dabei jedoch in
zunehmende Abhängigkeit.
Für die Konzerne bietet die Gentechnik andererseits die
Möglichkeit, die Gewinnspannen erheblich zu steigern. Wie sehr die Saatgutmultis die Landwirte zu Vasallen machen können,
verdeutlicht das Beispiel der "Terminator"-Technologie: Für viele Bauern - vor allem in Entwicklungsländern - ist der
so genannte Nachbau unverzichtbar. Sie nehmen einen Teil ihrer Ernte, lagern ihn ein und säen ihn im nächsten Jahr wieder aus.
Die Terminator-Technik aber macht diese Möglichkeit zunichte. Durch genetische Manipulation wird verhindert, dass nachgebautes
Saatgut keimt.
Im März letzten Jahres erhielten das US Department of Agriculture
(USDA) und die Baumwollsaatfirma Delta & Pine ein Patent auf diese Technologie. Für die Unternehmen bedeutet dies eine
Garantie auf hohen Absatz, für die Landwirte jedoch der Verlust ihrer Unabhängigkeit.
Der US-amerikanische agrochemische Konzern Monsanto, der Delta &
Pine und damit das Terminator-Patent inzwischen übernommen hat, verlässt sich dabei nicht ausschließlich auf die neue
Technik. Die Firma verpflichtete bspw. Bauern vertraglich, kein Saatgut aus der Sojabohnenernte der gentechnisch veränderten
Monsantosorten zurückzubehalten. Privatdetektive überwachen die Einhaltung der Lizenzverträge, gegen mehr als hundert
Landwirte hat die Firma gerichtliche Schritte wegen Vertragsbruchs eingeleitet.
Viele der Farmer fühlen sich inzwischen von den Saatgutfirmen
hintergangen, denn die Mehreinnahmen durch höhere Erträge und Einsparungen bei den Pestizidkosten fielen geringer aus als
angekündigt. Nicht selten blieb der Bedarf an Pestiziden konstant, die Erträge fielen zuweilen sogar um bis zu 8%. Vor allem aber
sehen die Farmer einen zunehmenden Imageverlust. Die genmanipulierte Ernte gefährdet inzwischen den Absatz im Ausland. Japan etwa
importierte noch vergangenes Jahr fast seinen kompletten Bedarf an Sojabohnen und Mais aus den USA. Japanische Importeure weichen jetzt
aber auf andere Länder aus, weil gentechnikfreie Ware gefragt ist. Zwar hat der US-Agrarkonzern AMD daraufhin seine Lieferanten
aufgefordert, genmanipulierte und normale Ware getrennt anzuliefern. Doch dieser logistische Aufwand verteuert die Ware deutlich.
Gebremste Expansion
Nicht nur der Verbraucherboykott macht den Gentech-Unternehmen den
Absatz madig. Die Skepsis hat auch Gerichte und Gesetzgeber erreicht. Beim Versuch, seiner Sojabohne schon bald quasi eine
Monopolstellung zu verschaffen, ist Monsanto daher vorläufig gescheitert. Brasilianische Richter verpflichteten den Konzern dazu, eine
einjährige Umweltverträglichkeitsstudie durchzuführen, bevor die veränderte Sojabohne angebaut werden darf.
Zwar wurden nur kurze Zeit nach diesem Schiedsspruch die ersten der
manipulierten Sojasamen illegal aus dem Nachbarland Argentinien importiert. Dennoch gilt das Urteil als gewaltiger Rückschritt
für die Expansionspläne der Saatgutmultis. Denn auch andernorts wächst der Druck auf Monsanto, Novartis, Agrevo und
andere Hersteller. Australien, Neuseeland und Südkorea beschlossen in den letzten Monaten eine Kennzeichnungspflicht für
genmanipulierte Produkte, Japan kündigte kürzlich eine für 2001 an. Auch in Südafrika und Thailand arbeiten die
Regierungen an entsprechenden Richtlinien.
Der in den WTO-Verträgen festgelegte freie Handel scheint
zumindest bezüglich gentechnisch veränderter Produkte gefährdet. "Wir wissen genau, dass gentechnisch
veränderte Organismen Teile der Umwelt zerstören können", erklärte etwa der französische
Präsident Jacques Chirac. Es gebe keine Sicherheit, dass Gentechnahrung gesundheitsverträglich sei. Jedes Land müsse
daher das Recht haben, die Einfuhr zu verweigern: "Wir Franzosen werden in Seattle nachdrücklich auf dieser Position
bestehen."
Umweltverbänden und anderen Kritikern reicht es nicht aus, die
Entscheidung pro oder contra Gentechwaren mittels Kennzeichnungspflicht lediglich den Verbrauchern und den Gesetzen von Angebot und
Nachfrage anzuvertrauen. Denn die Skepsis von Verbrauchern und Umweltschützern ist weit mehr als Technikfeindlichkeit und
Konservatismus.
Die Nebenwirkungen des Einsatzes gentechnisch veränderter
Pflanzen sind noch kaum abzuschätzen. Die Übertragung von Allergien und anderer Krankheiten wurde jedoch bereits
nachgewiesen. Und durch die Züchtung nur noch weniger, besonders ertragreicher Pflanzen ist die Artenvielfalt schon zuvor dramatisch
reduziert worden. In China gibt es nur noch tausend Weizenarten, vor fünfzig Jahren waren es noch zehnmal so viele. Von den Anfang des
Jahrhunderts in Indien registrierten 30.000 Reissorten sind heute nur noch ganze 15 in Nutzung.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Getreidesorten, Kartoffeln
oder Bananen. Durch die Gentechnik wird es möglich sein, die günstigen Eigenschaften der verschiedenen Arten in einer Pflanze zu
kombinieren. Eine weitere Reduzierung der Artenvielfalt wird die Folge sein. Dabei wurde 1992 im Rahmen des UN-Umweltgipfels in Rio de
Janeiro eine Internationale Konvention über die Biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention) unterschrieben, deren Ziele
"die Erhaltung der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung ihrer einzelnen Elemente und die gerechte Aufteilung der aus der
Nutzung genetischer Ressourcen resultierenden Vorteile" sind. Über die Interpretation, wie denn eine solche gerechte Aufteilung
auszusehen hat, werden sich die Verhandlungspartner auch in Seattle streiten. Die Auseinandersetzungen um Patente und Profite könnten
das Tempo der Vermarktung natürlicher Ressourcen und des Handels mit genetisch manipulierten Waren bremsen, aufhalten werden sie
beides indes kaum.
Jan Bongers