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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 25.11.1999, Seite 12

Sprung über den "Röstigraben"

Der Aufstieg der Schweizer Volkspartei

Es gibt sie auch bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die "braunen Flecken". Doch diese tut dem Erfolg keinen Abbruch. Im Gegenteil. Einer Partei, die sich langsam aber sicher in breiten Schichten der Bevölkerung etabliert, werde solche "Bagatellen" kaum übel genommen.
Selbst ausgewiesene Kenner der rechten Szene hätten vor wenigen Monaten noch nicht mit einem dermaßen erfolgreichen Abschneiden der SVP bei den vergangenen Nationalratswahlen gerechnet. Peter Niggli und Jürg Frischknecht, die Autoren des umfang- und detailreichen Werks Rechte Seilschaften setzten über das Kapitel zur tonangebenden SVP-Parteigruppe des Kantons Zürich ein Zitat von György Konrad, das inzwischen obsolet geworden ist: "Bestimmend ist nicht, wovon es wieviele gibt, sondern die am selbstbewusstesten scheinende Minderheit." Unterdessen ist die SVP eine selbstbewusste Mehrheit - wenn vorläufig erst eine elektorale und relative.
Zwar konnte die Schweizerische Volkspartei ihren Wähleranteil bereits vor vier Jahren um einen knappen Drittel vergrößern, doch befand sie sich damit immer noch an vierter Stelle der Regierungsparteien - hinter den traditionell stärksten Sozialdemokraten, dem Freisinn (Liberale) und der Christlich-Demokratischen Volkspartei CVP. Mit dieser Konstellation blieb auch die seit 1959 auf der sogenannten "Zauberformel" basierende Zusammensetzung der Großen Koalition unangetastet. Als kleinste der Regierungsparteien stellt die SVP einen Minister in der siebenköpfigen Exekutive. Das soll sich nun ändern.
Aufgrund der Interpretation, dass die "Zauberformel" auf die Parteienstärke Rücksicht nimmt, meldet die Volkspartei nun ihren Anspruch auf einen zweiten Ministerposten an. Im Karussell der potenziellen Bewerber sorgt insbesondere das Verhalten eines Mannes für Interesse: Der Chemie-Industrielle und Milliardär Christoph Blocher, Präsident der einflussreichen Sektion der SVP des Kantons Zürich.
Gemeinhin ohne Vornamen - sowohl von Getreuen als auch Gegnern - schlicht "Blocher" genannt, ist er es, der im Nachgang zu den Wahlen im Ausland das plötzliche Interesse an der Reaktion in der Schweiz geweckt hat. Nicht zu Unrecht. Nur der späte Zeitpunkt erstaunt, ist doch die bewegungsartige Volkspartei um die charismatische Leaderfigur Blocher nicht erst vor ein paar Wochen aus dem Boden geschossen.
Wenn heute sowohl von schweizerischen als auch ausländischen Medien mit gewagten Analogien versucht wird Blocher in einem Atemzug mit dem französischen FN-Führer Le Pen und dem FPÖ-Vorsitzenden Haider zu vergleichen, ist dies zwar als Warnsignal zu verstehen, eine unmittelbare Gleichsetzung wäre allerdings fahrlässig. Im Gegensatz zur Front National und der FPÖ hat die SVP nicht bereits aufgrund ihrer Gründungsgeschichte den Vorwurf der Nähe zum Faschismus zu fürchten.
Wegen der Versorgungskrise während des Ersten Weltkriegs erfuhren die Bauern in der Schweiz ihre Macht und Selbstbewusstsein. In Gegnerschaft zu den Liberalen und den Sozialisten fanden sie einen weiteren Grund eine eigenständige politische Organisierung anzustreben. So entstand die Vorläuferorganisation der Schweizerischen Volkspartei.
Obwohl es immer wieder zu personellen Überschneidungen mit Sympathisanten des deutschen Faschismus kam, kann sich die SVP heute mit einer gewissen Glaubwürdigkeit auf die "Vaterlandstreue" ihrer Vorläuferorganisation BGB (Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei) berufen. Ist doch die Erinnerung an die Kriegszeit von der "wehrhaften Schweiz" geprägt. Die Kooperation mit Nazi-Deutschland wird gerne als unter den damaligen Umständen nicht zu umgehender Sachzwang verharmlost.
Bei der "Aktivdienstgeneration", wie in der Schweiz jene genannt werden, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, ist noch heute eine Argumentationsweise anzutreffen, die gleichzeitig antisemitisch und nazifeindlich ist. Auch Blocher ist dieses Lavieren eigen, doch weiß er sein Vokabular meistens zu bändigen.

Dank brauner Flecken zum Erfolg
Der antifaschistische Exorzismus bewirkt bei der SVP und Blocher offenbar genau das Gegenteil. Nur gerade eine Woche vor den Wahlen veröffentlichte der SonntagsBlick, der seit Monaten mit Enthüllungsgeschichten von den braunen Rändern der SVP für Überraschungen sorgt, einen Brief Blochers. Darin bedankt er sich bei einem Sympathisanten mit den Worten "Wie recht er doch hat!" für den Erhalt eines Pamphlets des verurteilten Holocaust-Leugners Jürgen Graf.
Der Aufschrei in der Presse war groß. Endlich! dachten die meisten Kommentatoren, jetzt haben wir den handfesten Beweis und nun kann er sich nicht mehr aus der Schlinge ziehen. Doch weit gefehlt. Mit den daraufhin lancierten Inseraten gegen die "Schmutzkampagne" der Medien war der Partei Erfolg beschieden. Von denjenigen Wählern, die sich erst in den letzten Tagen vor den Wahlen zum Gang an die Urnen entschieden haben, wählten die meisten SVP.
Berücksichtigt man die fast ausschließliche Fokussierung auf den kompromittierenden Brief der Berichterstattung über Blocher in den Tagen vor dem Wahlsonntag, liegt die Vermutung nahe, dass die Enthüllung über Blochers unproblematischen Umgang mit Negationisten schlicht das Gegenteil bewirkt haben.
Die Reaktion auf solch unzweideutige Vorhaltungen pariert Blocher stets mit dem Hinweis auf die unlauteren Absichten der Medien. Oder gar mit seinem repetitiv verkündeten Bekenntnis, dass in der SVP kein Platz für Rassisten und Rechtsextreme sei. In offensichtlichen Fällen, wo die Partei trotz eindeutiger Aktivitäten Mitglieder immer noch nicht ausgeschlossen hat, wird bagatellisiert.
In einem Interview mit dem österreichischen Magazin Profil spricht Blocher im Zusammenhang mit dem notorischen und mehrfach verurteilten Holocaustleugner, Weltverschwörungsfantasten und SVP- Mitglied Emil Rahm: "Er hat ganz abstruse Ideen. Hetzschriften sind es nicht, aber Dummheiten. Sie können ja nicht jeden Unsinn verbieten." Trotz dieser offensichtlich "liberalen" Haltung was die Meinungsäußerungsfreiheit angeht, unterstützte die SVP 1994 die Einführung einer Rassismus-Strafnorm. Wie Blocher jedoch offen gesteht, "weil ich mit den Rassisten keinen Abstimmungskampf führen wollte".
Ob sich diese Arbeitsteilung weiterführen lässt, ist zweifelhaft. Hat doch die SVP mit ihrem Wahlsieg bei den Nationalratswahlen vom 24.Oktober nicht etwa der Linken Stimmen abgeluchst, sondern den rechten Rand neutralisiert und parteipolitisch homogenisiert. Die beiden Rechtsaußenformationen, die Schweizer Demokraten und die Freiheitspartei sind bis auf ein Mandat aus dem nationalen Parlamentsbetrieb verschwunden. Es gibt nun also keine "nützlichen Idioten" mehr, die das Feld, auf dem danach die SVP in verantwortungsvoller Manier ein gleichgeartetes Projekt durchsetzen kann, ebnen.

Erfolg in der Westschweiz
Neben der Flurbereinigung am rechten Rand bedeutet das Vordringen der SVP in die französischsprachige Westschweiz eine weitere qualitative Veränderung. Bisher wurde eine latente "Spaltung" der Schweiz entlang der Sprachgrenze vermutet. Abstimmungs- und Wahlresultate, die signifikante Unterschiede zwischen den beiden Regionen aufweisen, wurden jeweils als Bestätigung für die Existenz des sog. "Röstigrabens" verstanden.
Nach den Wahlen wurde erstaunlicherweise - oder bei genauerem Hinschauen verständlicherweise - nirgends von diesem Graben gesprochen. Mit den Zugewinnen der SVP in der Westschweiz verlor diese Region ihre Unschuld als von Blocher & Co. unversehrtes Terrain. Gerade die Entwicklung in der im äußersten Westen der Schweiz gelegenen Stadt Genf lässt aufhorchen. Nach dem Verschwinden der fremdenfeindlichen Partei Vigilance Mitte der 80er Jahre blieb es am rechten Rand bis auf marginale Umtriebe von Anhängern der französischen Nouvelle Droite (Neue Rechte) ruhig.
Erst in den vergangenen Jahren entstand eine SVP-Gruppe, die allerdings in der Wählergunst auf kommunaler und kantonaler Eben kaum die Prozentmarke zu überschreiten vermochte. Von sich reden machte die Partei, als Medienberichte auf das politische Umfeld eines der Spitzenkandidaten hinwiesen. Pascal Junod, Rechtsanwalt und in der Vergangenheit bereits mehrfach Strafverteidiger von militanten Neonazis, zudem aktiv im neurechten Zirkel Avalon, der international mit dem Thule-Seminar verknüpft ist, stellte sich als prominenter Anwärter für ein Nationalratsmandat zur Verfügung.
Für die SVP war das "Bekanntwerden" (bekannt war es zwar schon lange…) der Aktivitäten eines ihrer Kandidaten Anlass, der Genfer Parteisektion ein Ausschlussverfahren für Junod nahezulegen. Da dieser Vorschlag nicht auf offene Ohren stieß und sich die Genfer weigerten, erwog die Mutterpartei, die gesamte kantonale Sektion auszuschließen.
Doch dann kamen die Wahlen. Und siehe da. Die SVP um den Rassisten Junod erreichte in der Wählergunst 7%, was zwar nicht für einen Sitz reichte, doch eine zweistellige Vervielfachung ihrer Stimmenanteile bedeutet. Von einem Ausschluss der Genfer Sektion ist in der Parteizentrale der SVP nichts mehr zu hören…

Kanton um Kanton
Die jüngsten Erfolge der SVP haben ihren Ausgangspunkt im Wirtschafts- und Gewerbekanton Zürich. Von dort aus wurde Kanton um Kanton aufgerollt und die lokalen Parteiverantwortlichen nach der Linie aus Zürich getrimmt. Präsident der Zürcher Parteisektion ist Christoph Blocher. Neben den inhaltlichen Akzenten, die außer der einwanderungs-, bürokratie- und europafeindlichen Themensetzung nun steuerpolitisch einen wirtschaftsfreundlichen Kurs prägen, ist es vor allem die permanente Mobilisierung, die von einem kadermäßig getrimmten Parteiapparat organisiert wird.
Wer in Zürich an einem beliebigen Tag die Zeitung aufschlägt, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein halbseitiges Inserat antreffen, das über die "rot-grüne Misswirtschaft" oder "Randgruppenverhätschelung" herzieht. Um die Bindung der Basis zu gewährleisten, organisiert die SVP regelmäßig sog. "Puurezmorge" (Bauernfrühstücke). Eine Volksmusikkapelle spielt auf, ein reichhaltiges Frühstück wird zum Gratisverzehr offeriert und Parteigrößen können ungehemmt unter politisch eh schon gleichgesinnten identitätsstiftend ihr Schäfchen hegen.
Die Senioren als Zielpublikum für die volkstümlichen Bauernfrühstücke sind jedoch nur ein Teil der willigen Parteibasis. Zur Speerspitze hat sich in den letzten Jahren der Jugendverband entwickelt. Mit einem urbanen, lifestylekompatiblen Auftreten hat die Junge SVP nichts mit dem konservativen "Puurezmorge"-Mief zu tun. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Präsident der Jungen SVP wegen Handels mit Cannabisprodukten vor den Richter zitiert wird.
Der Vizepräsident ist bekennender Bisexueller und hat darob nur bei den christlichen Fundamentalisten an Glaubwürdigkeit eingebüßt, bei der sozialdemokratischen Wählerschaft hat er sogar an Sympathien gewonnen, obwohl er in keiner Weise von seiner europa- und fremdenfeindlichen Linie abgewichen ist.
Das Austarieren zwischen verschiedenen Strömungen, die in ihrer Lebensweise durchaus heterogen sind, jedoch politisch dasselbe Projekt verfolgen, ist einer der Gründe des anhaltenden Erfolgs der SVP. Selbst die innerparteiliche Demokratie wird hochgeschrieben und als Beweis für das propagierte ur-schweizerische Demokratieverständnis bemüht. Wie in der Schweiz "das Volk das letzte Wort hat", soll es auch in der Partei sein.

Liberales Feigenblatt
Neben der national-konservativen Mehrheitsströmung gibt es immer noch einen starken regional verankerten liberalen Flügel der Partei. Dieser hat mit Verteidigungsminister Adolf Ogi gar den höchsten Amtsträger der Partei. Ogi war es auch, der eine bessere Überprüfung der Parteimitglieder auf rechtsextreme Affinitäten forderte. Der Minister steht in manchen Fragen quer zur Mehrheit der Partei, so etwa wenn es um den Einsatz von bewaffneten Schweizer Truppen im Ausland geht oder in der Frage eines Beitritts zu EU.
Unmittelbar nach den Wahlen ließ denn auch Blocher verlauten, dass Ogi gewisse Positionen überdenken müsse, da er mit seinen Meinungen nur eine Minderheit der Partei vertrete. Eine vorläufige Entscheidung dieses Machtkampfs werden die Neuwahlen des Bundesrats (Regierung) im Dezember ergeben. Aus eigener Kraft schafft es die SVP nicht, ihren Anspruch auf einen zweiten Sitz durchzusetzen, und ob sie in den anderen Parteien willige Helfer findet, die das Risiko eingehen, einen eigenen Sitz zu verlieren, ist eher unwahrscheinlich.
Glaubwürdiger scheint, dass die Wahlen 2003 erst ausschlaggebend sein werden, wenn die Erfolge ein erstes Mal bestätigt werden müssen. Im Zürcher Bauer dem Organ der SVP des Kantons Zürich werden die aktuellen Ergebnisse zwar zur Kenntnis genommen und als Bestätigung für die "konsequente Politik" der SVP gewertet, doch ist das Augenmerk bereits auf die Nationalratswahlen in vier Jahren gelegt. Auch was die Zusammensetzung der Landesregierung angeht, braucht die SVP noch einige Zugewinne, damit sie mit ihren Verbündeten an den rechten Rändern der andern beiden bürgerlichen Parteien die vierzig Jahre alte Große Koalition kippen könnte.
Nick Lüthi, Bern
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