Sozialistische Zeitung |
Alles", sagt Karl Marx, "was der Mensch tut, muss vorher durch seinen Kopf." Wenn der vom
Kapitalismus gebeutelte Mensch heute immer noch nicht zur sozialistischen Revolution schreitet, dann liegt das also daran, dass er diese noch
nicht gedacht hat, dass er den Kopf voll hat mit anderen Flausen. Wer steckt ihm diese hinein, warum bleiben sie so hartnäckig darin und
wie werden diese Flausen ausgetrieben? Darüber streiten Linke besonders gern. Das erstmalige Erklingen des Schlachtrufs "Der
Sozialismus muss her!" hatte augenblicklich ein Echo "Aber wie?", seitdem steht die Frage der Entwicklung von
revolutionärem Klassenbewusstsein im Zentrum der Streitigkeiten der Arbeiterbewegung. Bei den daraus entstehenden Polemiken
schillert es wie bei Sonnenuntergängen an den Rändern am schönsten:
Der Vorsitzende der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands
(MLPD), Stefan Engel, kämpft im Auftrag seines Zentralkomitees gegen den "Vulgärmaterialismus" der
Konkurrenzorganisation Kommunistische Partei Deutschlands (KPD/Roter Morgen).
Er beginnt mit einer Positionierung, die ihn beinahe in die Nähe von
Leo Trotzki oder Rosa Luxemburg bringt: Die KPD hätte ein undialektisches Verständnis vom Verhältnis zwischen Sein und
Bewusstsein. Sie würde verbreiten, dass erst eine tiefe soziale Krise zu politischem Bewusstsein bei der Arbeiterklasse führen
würde und die revolutionäre Partei müsse nichts anderes tun, als den "Marxismus-Leninismus" von außen
an die Klasse herantragen. Dem hält die MLPD entgegen, dass der Prozess der Herausbildung von Klassenbewusstsein ein dialektischer
Komplex von Lernprozessen ist, in denen erste Stufen von elementarem Klassenbewusstsein durch praktische Kampferfahrungen und die
Aufklärung durch revolutionäre Propaganda zu immer höheren und radikaleren Stufen des Bewusstseins führen. Doch
nachdem er zweimal das Wort "dialektisch" richtig geschrieben hat, hört es mit selbigen Denken beim Genossen Engel schon
wieder auf.
Das, was den Arbeiter und die Arbeiterin daran hindert, im forschen Kampf
nach marxistischer, revolutionärer Theorie zu greifen, ist laut Engel ein böser Beelzebub, der sich in den Hirnwendungen breit
gemacht hat: die kleinbürgerliche Denkweise. Zwischen das krisengeplagte und nach Revolutionierung rufende Sein und dem
Bewusstsein des Menschen schiebt sich demnach eine dunkle Schablone, die falsche Denkweise. Diese Schablone muss fortgerissen und durch
eine andere, die proletarische Denkweise, ersetzt werden.
Seit fünf Jahren hat die MLPD und speziell ihr Vorsitzender Engel
den Kampf um die Denkweise zum neuen und aktuell wichtigsten Bestandteil der revolutionären Strategie der "Marxisten-
Leninisten" erklärt. Das ist ein knallharter Kampf zweier Linien. Nur dann, wenn die kleinbürgerliche Denkweise noch
schwach, noch nicht zur "Linie" geworden ist, darf mit ihr "pädagogisch" (in Engels Worten: "in nicht
antagonistischer Form") umgegangen werden. Doch wer bestimmt, welches die gute und richtige und was die schlechte und falsche Linie
ist? Und was ist, wenn sich die falsche Denkweise später als richtig erweist - hat sie dann ihren Charakter geändert?
Es gibt neben der MLPD nur noch wenige Organisationen, die sich ein
Gremium leisten, das sich ZK nennt. Die größte davon ist die katholische Kirche Deutschlands. Ein Schelm, der sich Böses
dabei denkt, dass auch von dort immer Appelle kommen, nicht von der richtigen Denkweise abzuweichen, tiefer und immer fester zu glauben.
Ähnlich wie bei der Kirche gilt der Kampf um die richtige
"Denkweise" auch in der MLPD natürlich nicht so sehr einer anonymen Öffentlichkeit, "den Massen" wie
Stefan Engel sagt. Der wirkliche Feind sitzt in den eigenen Reihen. So machte die MLPD in diesen Jahren eine tiefere Krise durch. Die Aussage
im Verfassungsschutzbericht "Die maoistisch ausgerichtete MLPD befand sich 1998 nach eigenen Angaben in einer Sinn- und
Identitätskrise" wird von Engel zwar als bewusste Diskreditierung abgetan, aber er führt dann lang und breit aus, dass sich
die Partei 1996 in einer "gefährlichen Situation" befand: Disziplinlosigkeit, Bürokratismus, Subjektivismus,
Fraktionismus und alle sonstigen Aspekte der "kleinbürgerlichen Denkweise" hätten die Partei im Griff gehabt.
Aber dann wurde ein "qualitativer Sprung" in der Aneignung
der "proletarischen Denkweise" erreicht. Es wurde "die einschneidendste organisationspolitische Veränderung in der
marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung seit der Bolschewisierung der KPD in den 20er Jahren" durchgeführt. Wem
dieser euphorische Bezug auf die dunkelsten Kapitel der Arbeiterbewegung noch nicht genug ins Gruseln bringt, der muss weiter Engel lesen:
das entscheidende Mittel zur Durchsetzung der proletarischen Denkweise ist: Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle. Von oben durch die
"Zentrale Kontrollkommission", von unten durch die fatale "Kritik-Selbstkritik-Einheit"-Kette und in den Köpfen
durch "die Selbstkontrolle der Kader".
Wir wünschen einer solch durchkontrollierten Sekte von ganzem
Herzen, dass sie mal die Kontrolle verliert. Als erster Vorschlag könnte dann kommen, dem Genossen Engel darzulegen, wie wenig
proletarisch seine Denkweise ist. Das Proletariat, so haben schon Marx und später auch Trotzki klargelegt, entwickelt keine eigene
Denkweise und keine eigene Kultur, es wäre die Kultur einer unterdrückten Klasse, der kulturelle Bewegung gerade versagt wird.
Möglich ist eine Kultur des Widerstands, der Revolution und Rebellion, sie wird aber so widersprüchlich sein, wie die Revolution
selbst.
Thies Gleiss
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