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Der außerordentliche Gewerkschaftstag der HBV hat seine Entscheidung zu ver.di vertagt. Ebenso wie auf den anderen
Gwerkschaftstagen war hier der wichtigste Tagesordnungspunkt die "Beratung und Beschlussfassung über Anträge und
Entschließungen zur Neustrukturierung der Gewerkschaften im Dienstleistungssektor, der dienstleistungsnahen Industrie, im Medien-,
Kultur- und Bildungsbereich". Diskutiert wurde über "Eckpunkte des Zielmodells", die vom Lenkungsausschuss der an
ver.di beteiligten Gewerkschaften ausgearbeitet wurden. Im Lenkungsausschuss sind jeweils zwei Vertreter der fünf beteiligten
Gewerkschaften vertreten. Das Eckpunktepapier schreibt vor allem den Aufbau und die Struktur der neuen Gewerkschaft fest.
Im Vorfeld des Gewerkschaftstags hatte es in den Gremien der HBV eine
ausführliche Debatte über die Eckpunkte gegeben. VielKritik wurde geäußert. Die Landesverbände
Thüringen und Berlin lehnten die Bildung von ver.di grundsätzlich ab. In mehreren Landesverbänden gab es noch keine
Einigung über die Bezirksstrukturen. Die HBV befürchtet, dass die ÖTV ihr hier ihre Strukturen überstülpen
will. Dies würde für die wichtigsten Bereiche im Organisationsbereich der HBV eine Verschlechterung der
Arbeitsmöglichkeiten bedeuten. Weil die ÖTV in manchen Landesbezirken mehr als doppelt so viel Verwaltungsstellen hat wie die
HBV, müssten sich die Gremien der HBV auf diese Struktur aufteilen, mit der Folge, dass HBV-Arbeit nur noch in den
größten Städten stattfinden würde.
Eine weitere Diskussion gab es um die Frage, nach welchen Kriterien die
Gelder verteilt werden sollen. Die Regelungen im Eckpunktepapier dazu werden als nicht zufriedenstellend betrachtet. Die HBV strebt an, die
Mittel so zu verteilen, dass dezentrale Betreuungsstrukturen sowohl im Bezirk wie auch im Fachbereich eine starke ver.di-Gewerkschaft in der
Region gewährleisten. Außerdem soll es einen Grundanspruch auf fachbereichsspezifische Hauptamtlichenbetreuung in den
Bezirken geben.
Zuletzt wurde noch Klärungsbedarf hinsichtlich der
Entscheidungsfindung in der Tarifarbeit angemeldet. Die Eckpunkte sollen den Tarifkommission in dieser Arbeit weitgehend Autonomie
sichern.
Im Vorfeld der Gewerkschaftstags war klar geworden, dass es zum
Eckpunktepapier in der vorliegenden Form keine ausreichende Zustimmung geben würde. Die Delegierten musste sich also Gedanken
machen, wie sie mit dieser Situation umgehen.
Ein Initiativantrag der Bundesgremien dazu wurde auf mehreren
Landesbezirkskonferenzen als zu wenig konkret abgelehnt. Auf der Landesbezirkskonferenz in NRW bekam Landesleiter Gerhard Keuchel den
Auftrag, mit den Landesleitern in Bayern und Baden-Württemberg dem Gewerkschaftstag einen "abstimmungsfähigen"
Initiativantrag vorzulegen. Dieser wurde den Delegierten bei den Vorbesprechungen der Landesbezirke vorgelegt. Bis auf Berlin und
Thüringen gab es dazu breite Zustimmung. Die Delegierten aus dem Bezirk Nord wollten zunächst die darin enthaltene Option auf
eine Beendigung des Fusionsprozesses nicht mittragen. Letzten Endes konnten sie sich aber nicht durchringen, gegen den Antrag zu stimmen.
Es bleibt also festzuhalten, dass für die HBV die Fragen nach dem
Zuschnitt der Bezirke, der Verwendung der Beitragseinnahmen und der Tarifarbeit noch der Klärung bedürfen. Diese Punkte sollen
auf einem weiteren außerordentlichen Gewerkschaftstag im Herbst 2000 bilanziert werden. Der Initiativantrag beschreibt die
Aufgabenstellung des Gewerkschaftstags wie folgt:
1. Wird das Ergebnis so bewertet, dass der Weg zur Verschmelzung zu
ver.di weiter verfolgt werden kann, muss dies mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Delegierten festgestellt werden (wie sie auch für
Satzungsbeschlüsse notwendig ist).
2. Wird diese Mehrheit nicht erreicht, sind Hauptvorstand und
Gewerkschaftsausschuss beauftragt, die HBV-Mitgliedschaft in der "Gründungsorganisation" zum nächsten Termin zu
beenden und für die HBV e.V. die Streichung aus dem Vereinsregister zu veranlassen.
3. Auf dem Gewerkschaftstag gibt es eine Zwischenbilanz zum Stand der
Diskussion der politischen Programmatik; dafür soll ausreichend Zeit eingeräumt werden.
Zusammen mit diesem Initiativantrag und den entsprechenden
Satzungsbeschlüssen und nach ausführlicher Debatte wurde das Eckpunktepapier dann mit 90% der Stimmen angenommen.
Mit dieser Beschlusslage hat sich die HBV für eine weitere
Beteiligung am ver.di-Prozess entschieden, sich aber gleichzeitig bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen als Ausweg den Ausstieg offen
gehalten. Welche Option sich durchsetzt, wird jedoch nicht nur von der HBV entschieden.
Die Delegierten der ÖTV, der größten Gewerkschaft im Fusionsprozess, sprachen sich auf dem außerordentlichen
Kongress grundsätzlich für die vom Lenkungsausschuss erarbeiteten "Eckpunkte zum Zielmodell" aus und gaben dem
geschäftsführenden Hauptvorstand grünes Licht für die weiteren Verhandlungen.
Trotz teilweise heftiger Kritik sah die überwiegende Mehrheit der
Delegierten keine Alternative zu dem eingeleiteten Fusionsprojekt. Die kritischen Beiträge bezogen sich in der Hauptsache auf den
Diskussions- und Entscheidungsprozess.
Die Debatte verläuft weitestgehend in der Art der klassischen
Funktionärsdiskussion, das Gros der Mitglieder interessiert sie nur am Rande. In der Hauptsache diskutieren der Hauptvorstand, die
Bezirksvorstände und teilweise die Kreisvorstände. In erster Linie geht es dabei um die Strukturen, viel zu wenig um eine
adäquate politische Orientierung der angestrebten Mammutgewerkschaft.
Die Gewerkschaftsvorstände sprechen vorzugsweise von dem
verstärkten Einfluss und der Macht, die ver.di nach erfolgreichem Zusammenschluss mit ihren dann 3,2 Millionen Mitgliedern haben
werde. Völlig ausgeblendet wird, dass die Mitgliederstärke einer Organisation zwar nicht unwichtig ist, die Angriffe der
öffentlichen und privaten Arbeitgeber allerdings nur abgewehrt werden können, wenn die künftig Gewerkschaft sich nicht als
gesellschaftlichen Ordnungsfaktor begreift, sondern als Kampforganisation für die Interessen der abhängig Beschäftigten.
In der ÖTV ist aber erst für die nächsten Monate geplant,
eine politische Diskussion in gemeinsam organisierten Foren zu führen.
Kontrovers sind außerdem die Anzahl und der Zuschnitt der
künftigen Kreisverwaltungen, die in der vereinigten Organisation Bezirksverwaltungen heißen sollen. Dieser Konflikt wird in erster
Linie mit der HBV ausgetragen, die ein starkes Interesse an möglichst wenig Bezirken hat, weil sie sonst mit ihren Fachbereichen nicht
nicht überall vertreten wäre. Für die ÖTV-Mitglieder hingegen ist es äußerst wichtig, die Präsenz
der Organisation in der Fläche aufrechtzuerhalten.
Mammutbezirke sind zudem der Transparenz und demokratischen
Willensbildung - beides funktioniert in den Gewerkschaften nicht sonderlich gut - nicht förderlich. In Bezirksverwaltungen mit dann
40.000-50.000 Mitgliedern werden die Diskussions- und Entscheidungsprozesse noch weniger transparent sein als bisher, die Beteiligung der
Basis und der unteren Führungsgremien wird noch eingeschränkter sein.
Die dritte Kontroverse dreht sich um den Grad der Autonomie der
Fachbereiche. Die Gewerkschaft ÖTV legt Wert darauf, die die Entscheidung über die politischen Fragen von den gewählten
Gremien auf Bezirks-, Landesbezirks- und Bundesebene und deren jeweiligen Konferenzen getroffen werden. Die Haltung ist durchaus
nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die ÖTV beispielsweise zur Kernenergie eine völlig andere Haltung hätte, wenn
der Fachbereich Energieversorgung in diesem Fall letztlich entscheidungsbefugt wäre.
Der außerordentliche Gewerkschaftstag der ÖTV diente
eigentlich nur dazu, das Eckpunktepapier im Grundsatz abzusegnen und dem Vorstand einen weiteren Verhandlungsauftrag zu erteilen. Obwohl
einige Delegierte sich im Sinne der von ihren jeweiligen Gremien eingereichten Anträge bemühten, den Vorstand auf bestimmte
Punkte festzulegen, wies dieser immer wieder darauf hin, es gehe hier nur um Verhandlungen, und an die anderen Gewerkschaften
müssten positive Signale gegeben werden.
Wirklich entscheidend werden die Gewerkschaftstage im Jahr 2001 sein.
Dann wird es um die Auflösung der fünf Organisationen gehen, und diese bedarf immerhin einer Vierfünftelmehrheit der
jeweiligen Delegierten. Bis dahin wird es noch harte Auseinandersetzungen um die kontroversen Positionen geben.
Die Berichterstattung des IG-Medien-Vorsitzenden Detlev Hensche über den Stand des Fusionsprozesses fiel diesmal deutlich
nüchterner aus als noch auf dem letzten Gewerkschaftstag. Auch er benannte eine Sollbruchstelle für die Vereinigung: die
Dominanz der Bezirke, durch die die Fachbereiche degradiert würden; eine solche "Überhöhung" könne die
IG Medien nicht mitmachen.
Auch der schriftliche Bericht des Geschäftsführenden
Hauptvorstands war sehr kritisch gehalten: hier war die Rede von der "politischen Gefahr des Scheiterns", von einer
"Kopfgeburt" und der Bestrebung aller beteiligten Gewerkschaften, "ihre Eigenständigkeit solange nicht aufzugeben, als
nicht feststeht, auf was sie sich im einzelnen einlassen, welche Gestalt die neue Gewerkschaft erhalten wird, welche Rechte und
Entfaltungsmöglichkeiten die Mitglieder haben, welche Arbeitsfelder und welche identitätsstiftenden Plattformen Aktive und
Funktionäre finden".
Auf die Frage nach einer "Perspektive, wenn ver.di scheitert",
gab der Vorstand jedoch keine Antwort. Diese Frage lässt er eigentlich auch nicht mehr zu. Einen Ausstieg aus dem Fusionsprojekt
bezeichnete Hensche als "nicht realistisch", vielmehr sollten die Delegierten "mit Selbstbewusstsein und aufrechtem Gang in
ver.di gehen". Der Gewerkschaftstag diente somit eher der Einstimmung der Delegierten als der kritischen Auseinandersetzung um den
Prozess, und dies verfehlte seine Wirkung nicht. Die Generaldebatte geriet sehr kurz, nur wenige Delegierte äußerten darin ihre
Zweifel am Fusionsprozess. Immerhin setztn sich Gegenanträge durch in der Frage der Wählbarkeit der bezirklichen
Geschäftsführung, des Erhalts des Standorts Stuttgart (Sitz der Zentrale) und der Erweiterung des Rechts auf freie
Meinungsäußerung der künftigen Fachbereiche.
Helmut Born / Wolfgang Zimmermann / d. Red
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