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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 4

Weiter auf dem Weg zu ver.di?

Die nächsten Schritte zur Gründung der Megagewerkschaft sind vollzogen. In der dritten Novemberwoche sprach sich die Mehrzahl der fünf Gewerkschaften, die den Gründungsprozess tragen sollen (ÖTV, DPG, HBV, IG Medien, DAG), für die Mammutfusion aus. Doch es kracht noch erheblich im Gebälk. Wir berichten von drei Gewerkschaftstagen.

HBV

Der außerordentliche Gewerkschaftstag der HBV hat seine Entscheidung zu ver.di vertagt. Ebenso wie auf den anderen Gwerkschaftstagen war hier der wichtigste Tagesordnungspunkt die "Beratung und Beschlussfassung über Anträge und Entschließungen zur Neustrukturierung der Gewerkschaften im Dienstleistungssektor, der dienstleistungsnahen Industrie, im Medien-, Kultur- und Bildungsbereich". Diskutiert wurde über "Eckpunkte des Zielmodells", die vom Lenkungsausschuss der an ver.di beteiligten Gewerkschaften ausgearbeitet wurden. Im Lenkungsausschuss sind jeweils zwei Vertreter der fünf beteiligten Gewerkschaften vertreten. Das Eckpunktepapier schreibt vor allem den Aufbau und die Struktur der neuen Gewerkschaft fest.
Im Vorfeld des Gewerkschaftstags hatte es in den Gremien der HBV eine ausführliche Debatte über die Eckpunkte gegeben. VielKritik wurde geäußert. Die Landesverbände Thüringen und Berlin lehnten die Bildung von ver.di grundsätzlich ab. In mehreren Landesverbänden gab es noch keine Einigung über die Bezirksstrukturen. Die HBV befürchtet, dass die ÖTV ihr hier ihre Strukturen überstülpen will. Dies würde für die wichtigsten Bereiche im Organisationsbereich der HBV eine Verschlechterung der Arbeitsmöglichkeiten bedeuten. Weil die ÖTV in manchen Landesbezirken mehr als doppelt so viel Verwaltungsstellen hat wie die HBV, müssten sich die Gremien der HBV auf diese Struktur aufteilen, mit der Folge, dass HBV-Arbeit nur noch in den größten Städten stattfinden würde.
Eine weitere Diskussion gab es um die Frage, nach welchen Kriterien die Gelder verteilt werden sollen. Die Regelungen im Eckpunktepapier dazu werden als nicht zufriedenstellend betrachtet. Die HBV strebt an, die Mittel so zu verteilen, dass dezentrale Betreuungsstrukturen sowohl im Bezirk wie auch im Fachbereich eine starke ver.di-Gewerkschaft in der Region gewährleisten. Außerdem soll es einen Grundanspruch auf fachbereichsspezifische Hauptamtlichenbetreuung in den Bezirken geben.
Zuletzt wurde noch Klärungsbedarf hinsichtlich der Entscheidungsfindung in der Tarifarbeit angemeldet. Die Eckpunkte sollen den Tarifkommission in dieser Arbeit weitgehend Autonomie sichern.
Im Vorfeld der Gewerkschaftstags war klar geworden, dass es zum Eckpunktepapier in der vorliegenden Form keine ausreichende Zustimmung geben würde. Die Delegierten musste sich also Gedanken machen, wie sie mit dieser Situation umgehen.
Ein Initiativantrag der Bundesgremien dazu wurde auf mehreren Landesbezirkskonferenzen als zu wenig konkret abgelehnt. Auf der Landesbezirkskonferenz in NRW bekam Landesleiter Gerhard Keuchel den Auftrag, mit den Landesleitern in Bayern und Baden-Württemberg dem Gewerkschaftstag einen "abstimmungsfähigen" Initiativantrag vorzulegen. Dieser wurde den Delegierten bei den Vorbesprechungen der Landesbezirke vorgelegt. Bis auf Berlin und Thüringen gab es dazu breite Zustimmung. Die Delegierten aus dem Bezirk Nord wollten zunächst die darin enthaltene Option auf eine Beendigung des Fusionsprozesses nicht mittragen. Letzten Endes konnten sie sich aber nicht durchringen, gegen den Antrag zu stimmen.
Es bleibt also festzuhalten, dass für die HBV die Fragen nach dem Zuschnitt der Bezirke, der Verwendung der Beitragseinnahmen und der Tarifarbeit noch der Klärung bedürfen. Diese Punkte sollen auf einem weiteren außerordentlichen Gewerkschaftstag im Herbst 2000 bilanziert werden. Der Initiativantrag beschreibt die Aufgabenstellung des Gewerkschaftstags wie folgt:
1. Wird das Ergebnis so bewertet, dass der Weg zur Verschmelzung zu ver.di weiter verfolgt werden kann, muss dies mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Delegierten festgestellt werden (wie sie auch für Satzungsbeschlüsse notwendig ist).
2. Wird diese Mehrheit nicht erreicht, sind Hauptvorstand und Gewerkschaftsausschuss beauftragt, die HBV-Mitgliedschaft in der "Gründungsorganisation" zum nächsten Termin zu beenden und für die HBV e.V. die Streichung aus dem Vereinsregister zu veranlassen.
3. Auf dem Gewerkschaftstag gibt es eine Zwischenbilanz zum Stand der Diskussion der politischen Programmatik; dafür soll ausreichend Zeit eingeräumt werden.
Zusammen mit diesem Initiativantrag und den entsprechenden Satzungsbeschlüssen und nach ausführlicher Debatte wurde das Eckpunktepapier dann mit 90% der Stimmen angenommen.
Mit dieser Beschlusslage hat sich die HBV für eine weitere Beteiligung am ver.di-Prozess entschieden, sich aber gleichzeitig bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen als Ausweg den Ausstieg offen gehalten. Welche Option sich durchsetzt, wird jedoch nicht nur von der HBV entschieden.

ÖTV

Die Delegierten der ÖTV, der größten Gewerkschaft im Fusionsprozess, sprachen sich auf dem außerordentlichen Kongress grundsätzlich für die vom Lenkungsausschuss erarbeiteten "Eckpunkte zum Zielmodell" aus und gaben dem geschäftsführenden Hauptvorstand grünes Licht für die weiteren Verhandlungen.
Trotz teilweise heftiger Kritik sah die überwiegende Mehrheit der Delegierten keine Alternative zu dem eingeleiteten Fusionsprojekt. Die kritischen Beiträge bezogen sich in der Hauptsache auf den Diskussions- und Entscheidungsprozess.
Die Debatte verläuft weitestgehend in der Art der klassischen Funktionärsdiskussion, das Gros der Mitglieder interessiert sie nur am Rande. In der Hauptsache diskutieren der Hauptvorstand, die Bezirksvorstände und teilweise die Kreisvorstände. In erster Linie geht es dabei um die Strukturen, viel zu wenig um eine adäquate politische Orientierung der angestrebten Mammutgewerkschaft.
Die Gewerkschaftsvorstände sprechen vorzugsweise von dem verstärkten Einfluss und der Macht, die ver.di nach erfolgreichem Zusammenschluss mit ihren dann 3,2 Millionen Mitgliedern haben werde. Völlig ausgeblendet wird, dass die Mitgliederstärke einer Organisation zwar nicht unwichtig ist, die Angriffe der öffentlichen und privaten Arbeitgeber allerdings nur abgewehrt werden können, wenn die künftig Gewerkschaft sich nicht als gesellschaftlichen Ordnungsfaktor begreift, sondern als Kampforganisation für die Interessen der abhängig Beschäftigten.
In der ÖTV ist aber erst für die nächsten Monate geplant, eine politische Diskussion in gemeinsam organisierten Foren zu führen.
Kontrovers sind außerdem die Anzahl und der Zuschnitt der künftigen Kreisverwaltungen, die in der vereinigten Organisation Bezirksverwaltungen heißen sollen. Dieser Konflikt wird in erster Linie mit der HBV ausgetragen, die ein starkes Interesse an möglichst wenig Bezirken hat, weil sie sonst mit ihren Fachbereichen nicht nicht überall vertreten wäre. Für die ÖTV-Mitglieder hingegen ist es äußerst wichtig, die Präsenz der Organisation in der Fläche aufrechtzuerhalten.
Mammutbezirke sind zudem der Transparenz und demokratischen Willensbildung - beides funktioniert in den Gewerkschaften nicht sonderlich gut - nicht förderlich. In Bezirksverwaltungen mit dann 40.000-50.000 Mitgliedern werden die Diskussions- und Entscheidungsprozesse noch weniger transparent sein als bisher, die Beteiligung der Basis und der unteren Führungsgremien wird noch eingeschränkter sein.
Die dritte Kontroverse dreht sich um den Grad der Autonomie der Fachbereiche. Die Gewerkschaft ÖTV legt Wert darauf, die die Entscheidung über die politischen Fragen von den gewählten Gremien auf Bezirks-, Landesbezirks- und Bundesebene und deren jeweiligen Konferenzen getroffen werden. Die Haltung ist durchaus nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die ÖTV beispielsweise zur Kernenergie eine völlig andere Haltung hätte, wenn der Fachbereich Energieversorgung in diesem Fall letztlich entscheidungsbefugt wäre.
Der außerordentliche Gewerkschaftstag der ÖTV diente eigentlich nur dazu, das Eckpunktepapier im Grundsatz abzusegnen und dem Vorstand einen weiteren Verhandlungsauftrag zu erteilen. Obwohl einige Delegierte sich im Sinne der von ihren jeweiligen Gremien eingereichten Anträge bemühten, den Vorstand auf bestimmte Punkte festzulegen, wies dieser immer wieder darauf hin, es gehe hier nur um Verhandlungen, und an die anderen Gewerkschaften müssten positive Signale gegeben werden.
Wirklich entscheidend werden die Gewerkschaftstage im Jahr 2001 sein. Dann wird es um die Auflösung der fünf Organisationen gehen, und diese bedarf immerhin einer Vierfünftelmehrheit der jeweiligen Delegierten. Bis dahin wird es noch harte Auseinandersetzungen um die kontroversen Positionen geben.

IG Medien

Die Berichterstattung des IG-Medien-Vorsitzenden Detlev Hensche über den Stand des Fusionsprozesses fiel diesmal deutlich nüchterner aus als noch auf dem letzten Gewerkschaftstag. Auch er benannte eine Sollbruchstelle für die Vereinigung: die Dominanz der Bezirke, durch die die Fachbereiche degradiert würden; eine solche "Überhöhung" könne die IG Medien nicht mitmachen.
Auch der schriftliche Bericht des Geschäftsführenden Hauptvorstands war sehr kritisch gehalten: hier war die Rede von der "politischen Gefahr des Scheiterns", von einer "Kopfgeburt" und der Bestrebung aller beteiligten Gewerkschaften, "ihre Eigenständigkeit solange nicht aufzugeben, als nicht feststeht, auf was sie sich im einzelnen einlassen, welche Gestalt die neue Gewerkschaft erhalten wird, welche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten die Mitglieder haben, welche Arbeitsfelder und welche identitätsstiftenden Plattformen Aktive und Funktionäre finden".
Auf die Frage nach einer "Perspektive, wenn ver.di scheitert", gab der Vorstand jedoch keine Antwort. Diese Frage lässt er eigentlich auch nicht mehr zu. Einen Ausstieg aus dem Fusionsprojekt bezeichnete Hensche als "nicht realistisch", vielmehr sollten die Delegierten "mit Selbstbewusstsein und aufrechtem Gang in ver.di gehen". Der Gewerkschaftstag diente somit eher der Einstimmung der Delegierten als der kritischen Auseinandersetzung um den Prozess, und dies verfehlte seine Wirkung nicht. Die Generaldebatte geriet sehr kurz, nur wenige Delegierte äußerten darin ihre Zweifel am Fusionsprozess. Immerhin setztn sich Gegenanträge durch in der Frage der Wählbarkeit der bezirklichen Geschäftsführung, des Erhalts des Standorts Stuttgart (Sitz der Zentrale) und der Erweiterung des Rechts auf freie Meinungsäußerung der künftigen Fachbereiche.
Helmut Born / Wolfgang Zimmermann / d. Red
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