Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 09.12.1999, Seite 15

DDR-Opposition

Verloren - aber eine Welt zu gewinnen

* Bernd Gehrke/Wolfgang Rüddenklau (Hg.), …das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 1999; 440 Seiten, 58 DM.

Der Verlag Westfälisches Dampfboot ist im Herbst mit einem Buch über die eher unbekannte DDR-Opposition herausgekommen.* Die Autoren kommen aus verschiedenen gesellschaftlichen Ecken, sie haben sich zehn Jahre danach noch einmal zusammengetan, um nicht nur Nachschau zu halten, sondern Lehren zu ziehen und sich deutlich und klar erneut als Opposition zu den herrschenden Verhältnissen zu positionieren.
Berichte aus der politischen und kulturellen DDR-Opposition (etwa von Klaus Wolfram, Lothar Feix), aus Umweltbewegung oder Frauenbewegung (Samirah Kenawi und Marinka Körzendörfer) und aus der "Kirche von unten" (von Dirk Moldt) zeigen die Vielseitigkeit der Quellen, aus denen 1989 der Umsturz gespeist wurde. Aufsätze mit kritischer Würdigung des "Runden Tisches" (von Thomas Klein), der Entwicklung in den Betrieben (Renate Hürtgen), Aufsätze über die Wahlfälschung (Beate Broßmann) oder über die Rolle der evangelischen Kirche zeigen, wie die hier vertretene Opposition Ende 1989 agierte und versuchte, ihre Vorstellungen zu realisieren.
Verstärkt wird die Rolle vieler gerade dann, wenn im dritten Teil für die Gegenwart etwa Sabine Schaaf feststellt: "Geblieben, was wir waren", und die Kritik an der bundesrepublikanischen Gesellschaft und vor allem am Kriegseintritt der rot-grünen Regierung in Kosovo/Kosova deutlich wird.
"Das war nicht unsere Alternative" bezieht sich eben nicht nur auf die Fluchtbewegung der DDR-Bürger, sondern gerade darauf, dass die Wirtschafts- und Rechtsordnung aus der BRD übergestülpt und alle demokratischeren und fortschrittlicheren Vorstellungen abgewürgt wurden.
Das Buch ist insbesondere für "Wessis" eine Fundgrube, nachträglicher Ausflug in ein unbekanntes Land. Auch für diejenigen, für die die DDR nie die angestrebte sozialistische Alternative war, zeigt sich, wie vielfältig die Kritik und das Leben der Opposition dort war. Auch (vielleicht unbegründete) Hoffnungen auf die Wirkung der DDR-Opposition nach dem Sturz Honeckers und dem Fall der Mauergrenze finden ihren Niederschlag in den Berichten. Und die Abgrenzung gegen allzu schnelle "Wendehälse", die sich in der Parteienlandschaft der alt-neuen BRD einrichteten.
Bernd Gehrke und Wolfgang Rüddenklau, die Herausgeber, schreiben im Vorwort über das Buch: "Hiermit ist die Hoffnung verbunden, nicht nur einen Beitrag zur Durchbrechung konservativer Hegemonie bei der DDR-Aufarbeitung zu leisten. Es soll auch Interesse für die Gedanken und Hoffnungen wichtiger Teile der Demokratiebewegung von 1989 geweckt werden, die mit ihren partizipatorischen Ansprüchen an eine demokratische Gesellschaft auch für die heutige markt- und kapitalbeherrschte Gesellschaft und ihr System der Stellvertreterpolitik durchaus von Bedeutung sein könnten … Wir wollen daran erinnern, dass die vielen, die dabei waren, für einen Augenblick selbst die Geschichte machten, die hernach wieder ohne sie, über sie und gegen sie hereinbrach. Und wir wollen auch Mut machen, wieder jene Grundfragen zu stellen, die heute gleichsam lächerlich erscheinen, wo erneut alles so unumstößlich zu sein scheint: Wie kann, wie soll eine Gesellschaft organisiert sein, in der die freie Entwicklung jedes einzelnen Grundlage ist für die freie Entwicklung aller und nicht umgekehrt die Unterordnung der einzelnen unter eine abstrakte Allgemeinheit."
Hans-Jochen Vogel, Studentenpfarrer in Karl-Marx-Stadt wie immer noch in Chemnitz, spannt den Bogen von der Krise der DDR zur Krise der Gewinner - er beginnt und endet seinen Beitrag: "Wir haben (die DDR) verloren; wir haben eine Welt zu gewinnen. Weil sonst die Chancen nicht gut stehen - für die Welt."
Die in dem Buch vertretene Opposition gegen die DDR ist zur Opposition in der BRD geworden. Daraus folgt notwendigerweise ein größeres Interesse an diesen Menschen und an diesem Buch, nicht nur aus dem Blick auf 1989.
Rolf Euler
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