Sozialistische Zeitung |
1. Einführung
In der Regel wird um Macht und Einfluss der internationalen Finanzmärkte auf einem abstrakten Niveau diskutiert, so dass der Zusammenhang mit
dem Alltagsleben häufig verloren geht. Nennt man die Summen, die Tag für Tag zwischen den Finanzplätzen der Welt verschoben werden, kann
der Normalverdiener nur noch erblassen. Es ist verständlich, dass die Beschäftigten, denen kontinuierlich vorgeworfen wird, ihre Arbeitskraft sei zu teuer
und ihre Ansprüche an eine soziale Sicherung zu hoch, an dieser scheinbar unerschöpflichen Reichtumsvermehrung gerne teilhaben möchten.
Sehen sie sich doch gleichzeitig einer wachsenden Berichterstattung ausgesetzt, die den Traum verkauft, quasi im Schlaf reich werden zu können, wenn man nur
die Spargelder in Wertpapieren anlegen würde. Neuer Markt, Aktienemissionen, DAX und Dow Jones Index, Start Up und Wagniskapital sind nur einige der
Vokabeln, die im Zuge der veränderten journalistischen Aufbereitung ökonomischer Fragen im Minutentakt verbreitet werden. Aus diesem ‚Infobrei‚
schält sich ein Begriff heraus, mit dem das noch nie dagewesene erfasst werden soll, die Neue Ökonomie.
Die Ungenauigkeit des Begriffs macht dabei gerade den Reiz aus, alles und nichts mit ihm zu
verbinden. Bereits seit etwa 10 Jahren wird über die ‚New Economy in den USA gestritten, in dessen Verlauf verkürzt gesagt, die meisten
seriösen Wirtschaftswissenschaftler den ins Feld geführten ‚theoretischen‚ Erklärungen, die die Existenz der New Economy beweisen sollen und
ein neues Zeitalter verkünden, skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Eine ähnliche Diskussion um die Neue Ökonomie wird seit kurzem
auch bei uns geführt. Ihr intellektuelles Niveau reicht dabei noch nicht einmal annähernd an das amerikanische Diskussionsniveau heran. Gleichzeitig
wird sowohl in Amerika und in Europa gerne unterschlagen, das die gesamte Diskussion stark geprägt ist durch einen Werbefeldzug für Banken,
Versicherungen und andere Anbieter von Finanzdienstleistungen. Häufig wird deswegen mit Halbwahrheiten, Falschaussagen und Oberflächlichkeiten
operiert. Statt kritischer Reflexion wird mit Erfolg auf kulturelle und psychologische Faktoren abgehoben, um die Möglichkeiten zu beschreiben, die der
Finanzmarkt und die Neue Ökonomie für jeden bereithalten. Schon lange geht es dabei nicht mehr um die rationale Auseinandersetzung mit
ökonomischen Zusammenhängen. Wahr ist viel mehr, was geglaubt wird und der irrationale Glaube lässt sich dabei am besten durch die Medien
verbreiten. (1)
Einen Eindruck in den Werbefeldzug, oder genauer gesagt das Agieren von Institutionen/Akteuren
und der Durchsetzung von Positionen bekommt man, wenn die sich auf den Finanzmärkten treffenden verschiedenen Interessen identifiziert werden. Es
lässt sich so die erwähnte anonyme Darstellung des Marktgeschehens vermeiden und v.a. können die konkreten Wirkungen des Markthandelns auf
den Lebensalltag herausgearbeitet werden. Veränderungen in der sozialen und ökonomischen Struktur werden sichtbar und auch, wer in Folge dessen zu
den Gewinnern und wer zu den Verlierern zählen wird. Anhand der gegenwärtigen Diskussion um die Einführung der (Teil-)Privatisierung der
Rente soll skizziert werden, wie scheinbar getrennte Forderungen sich zu einheitlichen Konzepten vereinigen können und wie diese transportiert und vermittelt
werden. Der folgende Text ist allerdings nur ein erster Schritt. Notwendig ist eine breite, interdisziplinäre und v.a. kritische Diskussion um den angestrebten
Systembruch der Alterssicherung in der Bundesrepublik.
2. Worum gehts? - Das Umlageverfahren
Die gesetzliche Rentenversicherung ist bei uns das wichtigste Einzelsystem der sozialen Sicherung. Mit rund 50 Mill. Versicherten (2/3 Beitragszahler), ca.
18,5 Mill. Rentnern und einem gegenwärtigen Jahresetat von ca. 400 Mrd. DM ist die Rentenversicherung eine zentrale volkswirtschaftliche
Größe. Etwa jede zehnte Mark des Bruttoinlandsprodukts fließt durch dieses System (annähernd die Hälfte des gesamten
Sozialbudgets), in dem die obligatorische Abführung der Beiträge an die öffentliche Institution festgelegt ist. Die stets negativ dargestellte zu hohe
Staatsquote (2) der Bundesrepublik sagt gerade deshalb kaum etwas über das damit unterstellte ineffiziente Ausgabeverhalten des Staates aus. Im Fall der
"Sozialversicherungsströme" handelt es sich um durchlaufende Posten, die wiederum die Staatsquote erhöhen. In anderen Ländern gibt
es die in dieser Höhe anfallenden Posten nicht, da keine vergleichbare Struktur der sozialen Sicherung existiert. Logischerweise gibt es allein dadurch eine
geringere Staatsquote in Relation zur Staatsquote der Bundesrepublik.
Im System der Bundesrepublik sind ca. 80% der Beschäftigten im gesetzlichen Rentensystem
versichert. Der Beitrag beträgt zur Zeit 9,65% des Bruttoeinkommens. Die gleiche Summe wird als Arbeitgeberbeitrag abgeführt. Dieser Umstand wird
als paritätische Finanzierung definiert. Einkommensteile, die über der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 8.600 DM monatlich liegen (7.100 DM in
den neuen Bundesländern), werden bei der Rente nicht berücksichtigt. Auf sie werden auch keine Beiträge erhoben. Die gesamten
Beitragszahlungen summierten sich 1999 auf ca. 4/5 der gesamten Einnahmen, zu dem der Bundeszuschuss addiert werden muss. Mit den Einnahmen eines Jahres
werden jeweils die Ausgaben des gleichen Jahres bezahlt (Umlageverfahren). 1999 bezogen ca. 16,5 Mill. Personen eine Versichertenrente, von denen ca. 3,5 Mill.
Personen zugleich eine Witwen- und Waisenrente erhielten. Die Rentenzahlungen beliefen sich auf über 85% aller Ausgaben der Rentenversicherungen. Hinzu
kommen die Arbeitgeberanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung, die die Rentenversicherung für ihre Rentner übernimmt, sowie die Kosten
für Rehabilitationsmaßnahmen. Die Leistungen der Rentenversicherung tragen im Durchschnitt zu 4/5 der gesamten Einkommen in den
Rentnerhaushalten bei, wobei der Anteil bei den Arbeitern gegenüber den Angestellten höher ausfällt. (3)
Das Umlageverfahren beruht auf dem Drei-Generationen-Modell (Generationenvertrag). Es besagt,
dass die abhängig Beschäftigten einer Periode durch ihre Rentenversicherungsbeiträge die Rentner dieser Periode finanzieren. Die heute noch
Beschäftigten werden dann, bei Erreichen ihres Renteneintrittsalters, von der derzeitigen jungen, noch nicht erwerbstätigen Generation durch ihre
Beiträge finanziert. Damit dieses System funktioniert muss zunächst sichergestellt sein, dass es sozusagen eine Kontinuität des
"Volksdaseins" gibt. Ausgehend davon werden für die Bundesrepublik, aber auch für die übrigen Industrienationen, pessimistische
demographische Prognosen für die langfristige Entwicklung der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und ihr Finanzierungsgleichgewicht aufgestellt. Es
wird erwartet, dass der Rentnerquotient, der Quotient aus der Zahl der Rentenempfänger und der Zahl der Beitragszahler, aufgrund des Sinkens der
Nettoreproduktionsrate (4) der Bevölkerung, der steigenden Lebenserwartung und der sich daraus ergebenden längeren Rentenbezugsdauer und einer immer
früheren Inanspruchnahme der Altersrente (z.B. Frühverrentung, Vorruhestand) steigen wird.
Als Folge dieser Entwicklung wird ein Rentnerquotient von rund 100% für Ende 2020 im
Vergleich zu ca. 50% Ende der 80er Jahre erwartet. Bei ungekürzten Rentenleistungen wird dann mit Beitragssätzen in Höhe von ca. 30%
gerechnet. In Verbindung mit der Steuerbelastung würde sich eine individuelle Steuer- und Abgabenlast von ca. 70% ergeben können, was als untragbar
angesehen wird. Das Umlagesystem droht nach dieser Prognose in eine Finanzierungskrise zu geraten, die das gesamte System sprengen würde. Diesen
Tendenzen soll durch den Aufbau einer privaten Sicherung, welches als Kapitaldeckungsverfahren angelegt ist, entgegengewirkt werden. Ob das
Kapitaldeckungsverfahren überhaupt adäquate Antworten auf die realen und vermeintlichen Probleme des Umlagesystems bieten kann, wird den Kern der
folgenden Analyse bilden.
3. Annäherung an ein Problem: Privatisierung der Rente
Die Diskussion über den jüngsten Börsenboom und den dort zu erzielenden schnellen Reichtum erhält Auftrieb und unerwartete
Schützenhilfe durch die Rentenreformpläne der Bundesregierung. Die Rentenreform wird in den nächsten Wochen in eine entscheidende Runde
gehen, in der sich die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung zu einem einschneidenden Systemwechsel in der Alterssicherung entschlossen hat. (5) Dabei
spielt der Einstieg in die eigenfinanzierte Kapitaldeckung zur individuellen Absicherung im Alter eine zentrale Rolle. Die private Vorsorge, die über
Lebensversicherungen und andere Modelle bereits heute ein Element der Zusatzversorgung ist, soll ein Teil der offiziellen und für alle geltende Alterssicherung
werden, indem das als Umlagesystem bezeichnete herkömmliche Modell durch kapitalgedeckte (private) Elemente ergänzt wird. Was bisher also private
Angelegenheit war, wird nun zur obligatorischen Aufgabe, um ein gewünschtes Lebensniveau im Rentenalter zu sichern. Die Differenz von
Leistungskürzung der solidarischen Rente und zukünftig notwendigen Mitteln, soll durch die individuelle Sparleistung aufgebracht werden.
Was hat die Rente mit den internationalen Finanzmärkten und den Börsen zu tun? Auf
den ersten Blick nicht besonders viel. Schaut man genauer hin, so finden sich hier zahlreiche Elemente, die es ermöglichen, den Einfluss der unregulierten
Finanzmärkte mit dem konkreten Alltag der Menschen zu verbinden. Generell wird die private Kapitaldeckung der späteren Rente, also die Forderung
nach einem speziellen individuellen Sparen, als Anlage in Investment- und Pensionsfonds, Lebensversicherungen und Wertpapieren erfolgen. Letztendlich wird das
gesammelte Kapital auf die eine oder andere Art in Wertpapieren investiert und in den Finanzkreislauf eingespeist. Dabei soll eine höhere Rendite oder
Verzinsung des über die Jahrzehnte gesparten Geldes garantiert werden, als beim ‚Zwangssparen‚ über die obligatorischen Rentenbeiträge im
Umlagesystem jemals möglich wäre.
Diese Form der (Teil-) Privatisierung der Alterssicherung ist in anderen Ländern, v.a. den
USA und GB, weit fortgeschritten. Ein unmittelbarer Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der USA/GB sagt aber nur wenig aus, da eine vollkommen andere
Ausgangslage bestand. In den USA oder England dominierte bereits im letzten Jahrhundert das Kapitalstockverfahren für die Alterssicherung und es gab kein in
vergleichbarer Breite angelegtes Umlageverfahren (6). Verbunden war damit immer eine hohe Altersarmut bzw. ein geringes soziales Niveau, sprich ein niedrigerer
Lebensstandard für die Bevölkerungsmehrheit. So führte die Einführung der Pensionsfonds gestützten Alterssicherung in den 80er
Jahren in GB dazu, dass 1/3 der Rentner heute mit Einkommen an der Armutsgrenze leben muss. In den USA hingegen wird das System der privaten Betriebsrenten
und Sparpläne fast ausschließlich von den oberen Einkommensschichten genutzt, während die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen in der
Regel durch die staatliche Social Security (Umlageverfahren) abgesichert sind. Dabei erfasst die Social Security zwar 95% der Beschäftigten (auch
Selbständige und Rentiers), doch die ausgezahlte Rente reicht nicht zum Leben, so dass ein Zwang für jeden/jede besteht, sich privat abzusichern.
Lässt man die Diskussion um die Frage der Sicherung des Lebensstandards für Nicht-
Beschäftigte Revue passieren, so zeigt sich heute eine vollkommene Umkehrung der Diskussion, wie sie in der Vergangenheit geführt wurde. Die privat
ausgerichteten angel-sächsischen Modelle galten noch bis vor 15 Jahren zu recht als reformbedürftig, da sie das Armutsproblem nicht lösten. Als
Beispielhaft wurden stattdessen kollektive Systeme (beitrags- und/oder steuerfinanziert) wie das Umlageverfahren angesehen. Heute gilt dies nicht mehr, obwohl das
Problem der Altersarmut weiterhin besteht und sich die Verteilungssituation in diesen Ländern noch stärker zu Lasten der unteren und mittleren
Einkommen verschoben hat. Folglich wird über die sinkenden Arbeitseinkommen auch weniger Konsum im Alter zu finanzieren sein, solange
Umverteilungskomponenten von höheren Einkommen und Gewinnen zu den niedrigen bzw. Durchschnittseinkommen weiter reduziert werden. Der
Systemwechsel vom gesellschaftlich organisierten zum privat finanzierten System der sozialen Sicherung wurde in den USA/GB durch die Privatisierungspolitik der
konservativen Regierungen in den 80-90er Jahren mit ihrer neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik zusätzlich begünstigt. Alle Argumentationen, wie
sie sich auch in der gegenwärtigen Diskussion in Europa finden, wurden dabei bemüht, um die Unmöglichkeit der Finanzierung einer staatlich
organisierten Alterssicherung, des Pay-as-you-go Systems (PAYGO) oder der sozialen Sicherung generell, die einerseits auf Steuereinnahmen und andererseits auf
Arbeitgeberbeiträgen beruht, zu beweisen. (7)
Die Unbezahlbarkeit der sozialen Sicherung wird immer mit ähnlichen Argumentationen
‚bewiesen‚. Zu hohe Kosten stehen wachsenden quantitativen und qualitativen Ansprüchen gegenüber, die zu steigenden Beiträgen führen
müssen. Damit wird die weitere Finanzierung der sozialen Sicherung in Zukunft bedroht, zumal dabei immer auf die demographische Entwicklung abgehoben
wird. Also, auf den Umstand, dass die Lebenserwartung gestiegen ist und die Zahl der Neugeborenen kontinuierlich sinkt. Daraus wird geschlossen, dass der
steigenden Rentnerzahl eine immer kleinere Zahl von berufstätigen Personen gegenübersteht, was zur Verschärfung der Finanzierungsprobleme
führen würde. Der "Generationenvertrag" verlöre seine ökonomische Grundlage, denn er scheint als nicht mehr bezahlbar und
wird aufgekündigt. Aktuell wird im Rahmen von auf diesen Annahmen beruhenden Prognosen das Ergebnis präsentiert, dass alleine die
Rentenbeiträge spätestens bis 2030 bei insgesamt 26% liegen würden. Bei einer paritätischen Finanzierung würde sich für die
Beschäftigten und für die Unternehmer ein Beitragssatz von 13% ergeben. Das gilt als unzumutbar, so dass die Beiträge der Arbeitgeber nach den
Rentenreformplänen der Bundesregierung bei 11% gekappt werden und sich die Beschäftigten (steuerlich unterstützt) privat bis 15% versorgen
sollen. Die 4% Differenz müssen obligatorisch privat angespart werden. Daraus ergeben sich grundsätzliche Fragen, die über die Klärung, ob
das Kapitaldeckungsverfahren überhaupt so funktioniert wie immer behauptet wird, hinausweisen.
4. Das alte Problem in neuer Verpackung: Die Verteilungsfrage
Ein Ausgangspunkt der Diskussion ist, dass die gesellschaftlichen Lasten für eine soziale Sicherung stärker privatisiert werden sollen, was im
Kern die Begründung jeglicher solidarischen Sicherung verneint. Die bisherige Finanzierung der sozialen Sicherung basiert nämlich auf der
Grundannahme des Solidarausgleichs für die Kosten, die mit der abhängigen Beschäftigung verbunden sind und durch die Allgemeinheit getragen
werden sollen: Arbeitslosigkeit, Krankheit, Einkommenslosigkeit im Alter. Daraus ergibt sich in zweifacher Hinsicht eine Notwendigkeit für den
Solidarausgleich. Wer auf abhängige Erwerbsarbeit als Einkommensquelle angewiesen ist, braucht gesellschaftlich organisierten Schutz für den Fall, dass
er nicht (mehr) arbeiten kann. Derjenige, der auf abhängige Erwerbsarbeit zur Steigerung seiner betrieblichen Wertschöpfung angewiesen ist, muss sich
an den dafür notwendigen gesellschaftlichen Kosten beteiligen. Bisher breit akzeptierte Begründung sozialstaatlicher Interventionen ist das Marktversagen
bei der Bereitstellung von Kollektivgütern, was u.a. auch ein historisch gewachsenes und politisch gewolltes soziales Niveau ist. Der Risikoausgleich zwischen
unterschiedlich starken wirtschaftlichen Gruppen, für Risiken, die mit den Beschäftigungsverhältnissen verbunden sind und der Ausgleich bei
konjunkturellen Schwankungen bzw. unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung sind die Hauptelemente, mit der die gesellschaftliche Organisation
sämtlicher sozialer Sicherungssysteme begründet ist. Über den Kapitalmarkt werden diese gesellschaftlichen Risiken nicht minimiert, ganz im
Gegenteil. Jedes staatliche/kollektive System kann im Gegensatz zu Kapitalmarktmodellen auftretende makroökonomische Risiken durch den Rückgriff
auf Steuern und/oder die öffentliche Verschuldung minimieren und somit erstens auf einen größeren Kreis der Bevölkerung und zweitens
über verschiedene Generationen hinweg verteilen (8). Auf ein weiteres schwerwiegendes Risiko, das immanente Kapitalmarktrisiko, wird an anderer Stelle
eingegangen.
Verabschiedet man sich also von den Überlegungen eines gesellschaftlich organisierten
Solidarausgleichs, kann nicht gleichzeitig behauptet werden, dass es zu keinen sozialen Veränderungen käme. Natürlich werden sich durch eine
veränderte Finanzierung auch Unterschiede in der Bereitstellung von Leistungen und somit unterschiedliche Lebensstandards ergeben und deutlicher
herausbilden. Einige Personen können sich besser stellen, da ihre Beiträge nur noch ihre Leistungen und Leistungen des engen Kreises der dort
Versicherten finanzieren müssen. Die mögliche ‚Rendite‚ ihrer Beiträge kann damit auch höher sein als bisher. Es kommt zu keiner
Risikostreuung, wie im Falle des Umlageverfahrens für den größeren Versicherungskreis. Die Finanzierung der sozialen Sicherung für den
Rest der Bevölkerung bzw. derjenigen, die über keine hohen zusätzlichen finanziellen Mittel verfügen, um sich privat zu versichern, wird
demnach geringer ausfallen müssen.
Ziehen sich finanzstarke Personen aus dem System zurück, gibt es zwei
Reaktionsmöglichkeiten, um die Einnahmeausfälle zu kompensieren: Beitragssteigerungen (nach den Riesterplänen nicht möglich, da
gedeckelt) oder Kostenreduktion durch Leistungskürzungen. In der Regel werden jedoch beide Elemente kombiniert. Man bezahlt mehr bei geringerer Leistung,
was die Zustimmung zum System weiter reduziert und jeden, dem es möglich ist, zum Ausstieg treibt. In allen Systemen der sozialen Sicherung wird auf beide
Elemente zurückgegriffen werden. Bedingt wird die Leistungskürzung und Beitragssteigerung u.a. durch die in den Rentenreformplänen
vorgesehene Entgeldumwandlung. Einerseits werden mit der Entgeldumwandlung verhandlungsmächtigen Gewerkschaften und Betriebsräten gesetzliche
Spielräume eröffnet, um die zusätzliche Altersvorsorge in die Tarifpolitik (betriebliche Altersvorsorge) einzubauen. Andererseits folgt daraus
zwangsläufig, dass die Beiträge zur privaten Altersvorsorge sozialabgabefrei bleiben. Das beitragspflichtige Bruttoentgelt vermindert sich um die
Beiträge zur Altersvorsorge. Die Verluste aus der angestrebten Privatisierungskomponente für das Sozialsystem beziffern sich dabei wie folgt: Zusammen
mit den hälftigen Arbeitgeberanteilen gehen, in heutigen Zahlen, der Arbeitslosenversicherung 3,6 Mrd. DM, der Pflegeversicherung 1 Mrd. DM, der
Krankenversicherung 6-7 Mrd. DM und der gesetzlichen Rentenversicherung ca. 10 Mrd. DM dauerhaft verloren. Insgesamt sind dies also 20-22 Mrd. DM an
jährlichen Beitragsverlusten, von denen die Hälfte bei den Arbeitgebern als Senkung der Lohnnebenkosten auftauchen. (9)
Natürlich könnte der Staat über einen höheren Beitrag die
Finanzierungslücken schließen und hierzu einerseits einen stärker steuerfinanzierten Anteil bereitstellen oder diesen Anteil über eine
erhöhte Kreditaufnahme zur Verfügung stellen. Beides wird unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht erwogen, denn dies würde den
obersten Geboten der ‚modernen Wirtschaftspolitik‚ zuwiderlaufen: Reduktion der Staatsausgaben und Kreditaufnahme. Mit dem Ruf nach Steuererhöhungen,
v.a. für hohe Einkommen, Unternehmen, Banken usw. macht man sich darüber hinaus in offiziellen Kreisen und den Medien lächerlich. Denn nach
den dort verbreiteten Ansichten verschlechtern sich damit die Angebotsbedingungen, was den Wirtschaftsstandort gefährden würde. Wir sind mit der
Frage Kapitalstockverfahren oder Umlagesystem somit im Zentrum der Verteilungsdiskussion angelangt.
In der Verteilungsdiskussion muss man vor der Frage, wie hoch die Rente ausfällt,
zunächst einmal die Frage der Lastenverteilung zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern klären. Mit der Höhe des Rentenbeitrags wird die
Relation zwischen Gewinn und Lohn verändert, denn der Arbeitgeberanteil ist real ein Lohnbestandteil. Jede Reduktion des Arbeitgeberanteils ist eine
Lohnkürzung, was die Definition als paritätische Finanzierung häufig verdeckt. Der Arbeitgeberanteil wird, wie die gesamten Lohnbestandteile, im
Arbeitsprozess erwirtschaftet und stellt eben keinen Beitrag aus einer wie auch immer gearteten anderen unternehmensfremden Finanzierungsquelle dar. In diesem
Sinne errechnet sich auch der Gewinn oder die Netto-Wertschöpfung eines Unternehmens: Nämlich durch den Abzug der Ausgaben für die
Vorleistungen und die gesamten Lohnkosten, die sich zusammensetzen aus dem Bruttolohn + Arbeitgeberbeiträgen + zusätzlich gewährten
Leistungen. Was auf der einen Seite den Gewinn erhöht, durch Reduktion der Lohnkosten, stellt sich auf der anderen Seite als Lohnabzug dar. Der
Lohnbestandteil, der obligatorisch vom Unternehmen an die Sozialversicherungsträger abgeführt wird erscheint nicht auf der monatlichen Abrechnung des
Beschäftigten. Dieser wird ihm auch nicht durch die Erhöhung des Bruttolohns zufließen, um sich so zusätzlich privat versichern zu
können. Stiege der Bruttolohn nämlich, ergebe sich keine Kostenreduktion für das Unternehmen aus der Auflösung der paritätischen
Finanzierung der Alterssicherung und die Diskussion um die Senkung der Lohnnebenkosten würde im Falle des Plädoyers für ein kapitalgedecktes,
privates System keinen materiellen Nutzen für die Unternehmen haben.
Die veränderte Qualität der jüngsten Diskussion über die Frage der
Sicherung der Rente liegt darin, dass die private Alterssicherung als Alternative zum herkömmlichen System der Umlagefinanzierung für die
Bevölkerungsmehrheit dargestellt wird. Das bisherige Umlage-system gerät durch die mit den in der Vergangenheit durchgeführten und den noch
zu erwartenden Reformen hinsichtlich verstärkter Leistungskürzungen in die Nähe einer Grundsicherung, die knapp über der Armutsgrenze
liegt. Am Ende dieser Entwicklung käme es zur Umkehrung der Alterssicherung. Die Pflichtbeiträge als Abzug vom Lohn würden eine (minimale)
Grundsicherung ergeben, so dass die private Vorsorge genutzt werden muss, um Altersarmut zu verhindern. Bereits in den Reformplänen ist ein Automatismus
eingebaut, der diesen Zwang begründet. Alle Varianten der privaten Sicherung, von betrieblichen Tariffonds bis zur Anlage in internationalen Pensionsfonds,
senken den Nettolohn. Dieser wiederum unterliegt als Komponente der zukünftigen Rentenanpassung (nettolohnbezogen). Folglich sinkt das zukünftige
Renteneinkommen je höher die Bestandteile der privaten Sicherung ausfallen und es ergibt sich daraus eine Verteilungswirkung über alle
Lohneinkommen hinweg. Höhere Einkommen können in der Regel mehr Lohnanteile ansparen. D.h., je höher dieser Anteil in der Zukunft
ausfallen wird (über die in den Reformplänen angestrebten 4%) und je stärker er steuerlich gefördert wird, desto stärker Sinken die
Renteneinkommen aus dem Umlagesystem für alle Rentner.
In dieser Wirkungskette ist der Zwang zu einem immer stärkeren privaten Ansparen
systematisch angelegt. Jeder Befürworter einer noch so kleinen privaten Komponente, die in das System des Umlageverfahrens auf die eine oder andere Weise
eingebaut ist, sollte sich über die gesamtgesellschaftlichen und v.a. systemischen Folgen klar werden. Parallel dazu wird von den sinkenden Auszahlungen ein
starker Druck auf die Leistungen der Sozialhilfe ausgehen. Liegt das durchschnittliche Rentenniveau nur wenig über dem Sozialhilfeniveau, so wird es nach der
gegenwärtigen Logik nur einen Weg geben, das Abstandsgebot wiederherzustellen. Die Sozialhilfe muss gesenkt werden. Ansonsten würde der Anreiz
sinken, überhaupt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung über Jahrzehnte hinweg auszuüben, wenn am Ende nur eine Rente
herauskommen würde, die über dem ohnehin für alle geltenden Sozialhilfeniveau läge.
In den USA und GB kann man die soeben skizzierte Entwicklung bereits heute erkennen. Dort
konnten die geringen Leistungen aus den staatlichen Systemen die Altersarmut nie verhindern. Mit der Einführung und Durchsetzung privater Modelle, als
betriebliche Säule und/oder in Pensionsfonds angelegt, sollte diesem Problem begegnet werden. Im Hinblick auf die soziale Situation hat sich die damit
verbundene Hoffnung einer Verhinderung von Altersarmut aber nicht erfüllt. Die Vermögenskonzentration stieg weiterhin massiv, was auch der breite
Besitz von Wertpapieren nicht verhindert.(10) Ca. 45% der amerikanischen Haushalte besitzen Wertpapiere und finanzieren ihre Alterssicherung über private 401
(k) Pläne (11). Der durchschnittliche Vermögenswert der Papiere, die private Haushalte halten, liegt jedoch lediglich bei 14.000 US$.(12) Oder anders
ausgedrückt, ca. 5% der amerikanischen Haushalte besitzen ca. 95% aller im Umlauf befindlichen Wertpapiere. Die Vermögenskonzentration hat somit
nicht nur im Hinblick auf die Umverteilung der Löhne hin zu den Gewinnen zugenommen, sondern die Rückflüsse aus angelegten Geldern und
vererbtem Besitz der Top 5% übersteigt bei weitem die Rückflüsse aus Wertpapieren für Haushalte von Beschäftigten. Weder die
Primärverteilung, die im Produktionsprozess über die Relation von Gewinn zu Lohn hergestellt wird, noch die staatlich organisierte
Sekundärverteilung der sozialen Sicherung konnte durch die Zunahme von Gewinnen und Dividenden über den Wertpapierbesitz jemals umgekehrt
werden. (13)
5. Umlageverfahren und Kapitaldeckung haben die gleichen Probleme
Unabhängig vom Finanzierungssystem gilt grundsätzlich, dass die ökonomische Basis der Alterssicherung die Arbeitsproduktivität
ist. Da Rentner nicht produzieren, sondern nur konsumieren, stellt ihr Konsum immer einen Abzug vom möglichen Konsum der Nichtrentner dar. Bei steigender
Produktivität stellt sich die politische Frage, wie das Mehrprodukt und die daraus anfallenden Erlöse zwischen Gewinnen/Vermögen und
Löhnen verteilt und zu welchen Zwecken (Konsum oder Investition) sie verwendet werden. Das Rentensystem regelt lediglich, wie viel den Rentnern aus der
laufenden Konsumgüterproduktion zugeteilt wird. Möglich ist die Finanzierung der Renten auf der Basis der Bruttolohnsumme (gegenwärtiges
Umlageverfahren), aus dem allgemeinen Steueraufkommen oder einer privaten Renten-finanzierung durch individuelles Ansparen von Geldvermögen
(über Wertpapiere bzw. das Kapitalstockverfahren), das um Zinserträge und Kursgewinne vermehrt, im Alter aufgelöst wird. Damit regelt das
Rentensystem wie der Rechtsanspruch auf Rente erworben wird und wer bei gegebener Konsumgüterproduktion auf denjenigen Konsum verzichtet, der den
Rentnern zugewiesen wird. Eine wie auch immer geartete demographische Betrachtung allein sagt nichts darüber aus, ob und was sich eine Gesellschaft an
sozialer Sicherung leisten kann oder soll.
Zur Aussagekraft demographischer Argumente zwei Bemerkungen: "Bis ins 19. Jahrhundert
war die Landwirtschaft der eindeutig dominierende Teil der Volkswirtschaft. Um das Jahr 1800 waren in Westeuropa etwa 75% der Bevölkerung in der
Landwirtschaft tätig. Diese Quote sank -infolge der Erhöhung der Produktivität- auf heute gerade noch 2,5 bis3%. Musste also im Jahr 1800 ein in
der Landwirtschaft Beschäftigter noch 1,33 Personen ernähren, so sind es heute deren 40 eine Erhöhung der Produktivität um den
Faktor 30. Gerechnet auf 200 Jahre entspricht dies einer jährlichen Produktivitätssteigerung von gerade mal 1,7%. Nichtsdestoweniger hätte im
Jahre 1800 jeder behauptet, dass 3 Beschäftigte niemals die Ernährung von 100 Personen sicherstellen können." (14) Auf der anderen Seite
haben wir in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern ein anderes demographisches Problem, ein hohes Bevölkerungswachstum und somit viele
jungen Menschen. Trotzdem führt diese günstige Relation dort nicht zum Aufbau einer besseren Alterssicherung als in den Industrieländern. Im
Gegenteil, es existiert nichts Vergleichbares. Auch hier würde jeder zu Recht feststellen, dass nicht die Zahl von Jung zu Alt das Kernproblem ist, sondern wie
dort ein gesellschaftlichen Mehrprodukt entsteht, die Beschäftigungsverhältnisse sich gestalten und ein notwendig hoher Lohnsatz erzielt wird, der
sowohl zum Konsum als auch zum Sparen genutzt werden kann.
Zentrale Frage ist, ob der technologische Fortschritt in den nächsten Jahrzehnten hoch genug
ausfällt, um Produktivitätsfortschritte zu erhalten, die ein steigendes Mehrprodukt auch bei sinkenden Beschäftigtenzahlen garantieren, um daraus
einen höheren Anteil an kollektivem Konsum zur Verfügung zu stellen. Diese ökonomischen Bedingungen sind in den OECD-Staaten gegeben,
selbst bei der Unterstellung relativ moderater Raten des technologischen Fortschritts. (15) Hier ist noch auf einen anderen gern unterschlagenen Umstand hinzuweisen:
Auch das Umlagesystem ist immer prinzipiell kapitalgedeckt, denn der kollektive Konsum wird einerseits aus der laufenden Produktion finanziert, wozu
zunächst einmal ein Sachkapitalstock vorhanden sein muss. Er ist andererseits z.Z. mit 400 Mrd. DM eine wichtige Säule der kaufkräftigen
Nachfrage, die wiederum für die Auslastung der vorhandenen Kapazitäten sorgt und den Unternehmen über den Absatz ihrer Produkte finanzielle
Mittel für ihre Expansion und den Produktivitätsfortschritt zur Verfügung stellt. Diese grundsätzlichen ökonomischen
Zusammenhänge sagen jedoch nichts darüber aus, wie das steigende Sozialprodukt verwendet wird und wem die Produktivitätsfortschritte
letztendlich zu Gute kommen. Das ist Kernbestandteil der Verteilungsfrage, die politisch entschieden wird und hat rein gar nichts mit demographischen Faktoren zu
tun.
Falsch ist die implizite Behauptung, die demographischen Probleme würden sich, wie auch
immer, durch eine Umstellung auf eine Kapitaldeckung auflösen. Jede steigende Lebens-erwartung trifft natürlich auch das kapitalgedeckte System. Ein
gegebener Vermögensbestand muss bei längerem Ruhestand auch länger reichen und es kann im Prinzip auch nur weniger an Leistung finanziert
werden. Will man den Betrag der monatlichen Rente in dieser Situation konstant halten, so muss bei längerer Lebenserwartung ein entsprechend höherer
Beitrag privat angespart werden. Auch gegen die schrumpfende Bevölkerung ist das kapitalgedeckte System nicht immun, denn die angesammelten
Vermögenswerte müssen in 20-50 Jahren wieder verkauft werden. Die Wertpapiere müssen auf den Markt ihre kaufkräftige Nachfrage
finden. Ansonsten lässt sich über die daraus resultierenden Einnahmen kein Konsum finanzieren. Die Prüfung der Realitätstauglichkeit aller
kapitalgedeckten Modelle steht somit noch bevor, nämlich ab dem Jahr 2030. Ob sie diesen Test bestehen, obwohl nicht einmal die Mehrheit in allen Staaten an
diesem System in ausreichender Höhe beteiligt ist, ist fraglich.
6. Ideologie statt Ökonomie
Zwei Argumente werden von den Befürwortern der privaten Sicherung unermüdlich angeführt: Erstens sei die Rendite (die Summe aus
angespartem Kapital plus Zinsen), die am Ende ausgezahlt würde, im historischen Vergleich höher als die staatliche Rente. Zweitens würde das
gesammelte Geld der Fonds für reale Investitionen benötigt und verwendet. Erhöhe damit den Kapitalstock der Wirtschaft und schaffe
Beschäftigung durch ein daraus folgendes höheres Wirtschaftswachstum. Diese Argumente sind angesichts der Realität der Investitionsfinanzierung
und der Kapitalverwendung reine Propaganda.(16) Es geht vielmehr um die Durchsetzung eines veränderten Systems von Besitz- und
Eigentumsverhältnissen und um eine Machtverschiebung zu Gunsten der auf den Finanzmärkten tätigen Unternehmen zur Stabilisierung von
Profiten bei schrumpfenden Märkten und Konzentrationsprozessen. (17)
Die erste Behauptung wird alleine durch die ökonomische Realität widerlegt: Jeder
historische Renditevergleich zwischen Wertpapieren und der Höhe der Transfereinkommen aus der Rentenkasse basiert auf der Projektion der Zahlen des
laufenden oder vergangenen Geschäfts auf einen Finanzmarkt der Zukunft. Die Renditen, die im Moment erzielt werden, sind u.a. so hoch, weil vorausgesetzt
wird, dass sie erneut reinvestiert werden. Sie werden dem Finanzmarkt also gerade nicht für den Konsum entzogen. In dem Moment wo eine signifikante Zahl
von Menschen, individuell oder mittels Fonds, die Renditen zum Zwecke ihres Verbrauchs im Alter durch Verkauf und Auflösung ihrer Wertpapiere realisieren
muss, funktioniert der Finanzmarkt wie das staatliche Rentensystem: Entweder es wird in 30-50 Jahren weiterhin genug Geld von den Beschäftigten in den
Finanzmarkt eingespeist, um die dann auf dem Markt angebotenen Wertpapiere zu den dann anfallenden Kursen zu kaufen oder die Kurse werden massiv einbrechen
(Überangebot) und damit die Renditezahlungen drastisch schrumpfen lassen.
Neben der immer bestehenden Möglichkeit des Kurseinbruchs und der Entwertung der in
Wertpapieren gehaltenen Ansprüche, ist dies ein generelles, strukturelles Problem bei der Einführung des Kapitalstockverfahrens. Denn auch die
Finanzmärkte können sich nicht der ökonomischen Logik entziehen. Auch das System der Kapitaldeckung ist darauf angewiesen, dass die
Produktivität permanent steigt und der Alterskonsum durch den Verzicht der Erwerbstätigen auf unmittelbaren Konsum (also Sparen) finanziert wird.
Individuen mögen Geld für morgen durch heutiges Sparen zurücklegen. Eine Gesellschaft als ganzes kann dies nicht. Sie kann den sozialen
Konsum in der Zukunft nur durch reale physische und soziale Investition heute garantieren, was wiederum eine Veränderung der Verteilungsrelation und eine
andere Wirtschafts- und Sozialpolitik erforderlich machen würde.
Seit Jahrzehnten "gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus
dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand
fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, kein
"Sparen" im privatwirtschaftlichen Sinne es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den
Sozialaufwand...Die volkswirtschaftliche Problematik läßt sich nicht dadurch lösen oder beiseiteschieben, daß man nach den
Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmanns private Risiken versichert. Volkswirtschaftlich gibt es nämlich keine Ansammlung eines Konsumfonds, der
bei Bedarf konsumiert werden kann und dann gewissermaßen zum Volkseinkommen einer späteren Periode eine willkommene Zugabe
wäre." (18) Auch eine internationale Handelbarkeit der Wertpapiere löst das Problem nicht, denn einfließendes Kapital aus dem Ausland (Kauf
von ‚deutschen‚ Wertpapieren) muss erwirtschaftet werden und ist Abzug vom dortigen Bruttoinlandsprodukt. Es wäre deshalb mehr als blauäugig davon
auszugehen, dass ausländische Käufer über die damit verbundene Reduzierung von Mitteln aus ihrem nationalen Wirtschaftskreislauf die
zukünftigen deutschen Renten insgesamt finanzieren. Wie man es auch dreht und wendet, eine ökonomische Binsenweisheit gilt immer: There is no free
lunch!
Anders ausgedrückt findet sich in dem von Mackenroth aufgestelltem Gesetz sehr vereinfacht
gesprochen die kreislauftheoretische Begründung der Finanzierung jeglichen Konsums, ob privat oder kollektiv: Das Volkseinkommen einer jeden Periode kann
entweder für den Konsum [C] oder zur Investition [I] verwendet werden. Der nicht konsumierte Teil des verfügbaren Einkommens eines Haushalts bzw.
der Volkswirtschaft wird wiederum gespart und steht zur Finanzierung der Investitionen dieser Periode zur Verfügung [es gilt die ex post
Identitätsgleichung: I=S]. Eine Übertragung in die nächste Periode ist nicht möglich, da das angesparte Kapital bereits konsumiert oder eben
investiert wurde. Aus Konsum und Investition dieser Periode kann wiederum neue Nachfrage über Einkommenssteigerung bzw. Wirtschaftswachstum in der
folgenden Periode induziert werden.
Falsch ist auch von einer stärkeren Generationengerechtigkeit durch ein privat gedecktes
Alterssicherungssystems zu sprechen. Ihre Befürworter behaupten, dass die jüngere Generation ohne Systemwechsel einen höheren Anteil ihres
Verdienstes der älteren Generation zur Verfügung stellen müsse, was ungerecht sei. Ganz davon abgesehen, dass nicht das Alter die entscheidende
Finanzierungskomponente ist, sondern die Zahl der sozialversicherungspflichtigen, abhängig Beschäftigen und/oder wie hoch ihr Lohneinkommen in 30-
40 Jahren ist, kommt keine Generation darum herum, eine Belastungen für den Konsum der Nicht-Beschäftigten (ob zu jung oder zu alt) zu erbringen. So
hat die ältere Generation durch ihren Konsumverzicht in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass eine soziale Infrastruktur entstand (Schulen,
Universitäten, Krankenhäuser etc.) die der jüngeren Generation den gegenwärtigen Lebensstandard bereitstellt, aus der sie wiederum
höhere Löhne fordern und erzielen kann. Ohne diesen Konsumverzicht in der Vergangenheit hätten sonst nicht die Investitionen in ‚Humankapital‚
und technologische Entwicklung aufgebracht werden können, die dem sozialen Niveau der Gegenwart als materielle Basis unterliegt.
Wie bereits skizziert ist auch das kapitalgedeckte System darauf angewiesen in einigen Jahrzehnten
aus der laufenden Produktion über die den Menschen dann zur Verfügung stehenden Einkommen finanziert zu werden. Realwirtschaftlich stellt sich dies
als Verkauf und Kauf von Wertpapieren dar. Die steigenden Preise der Wertpapiere, die heute als höhere Rendite mittels höherer Verzinsung auf der
anderen Seite unterstellt werden, müssen entweder über höhere Löhne der Beschäftigten realisiert werden, sprich sie müssen
die Wertpapiere zu den dann anfallenden Preisen kaufen. Oder die Abschläge auf ihr Einkommen werden um so höher ausfallen, je weniger die Preise der
Wertpapiere sinken und sie selbst zu der Zeit darauf angewiesen sind, ihre Alterssicherung über ein kapitalgedecktes System zu finanzieren, weil über das
Umlagesystem kein ausreichendes Einkommen zur Verfügung gestellt wird.
Desweiteren wird die junge Generation stark belastet, da die steigenden Preise der Wertpapiere auf
die eine oder andere Weise immer durch steigende Profite der Unternehmen gedeckt werden müssen. Ob sich die zukünftigen Gewinnerwartungen
tatsächlich einstellen, oder ob sich die Wertpapierpreise von den ökonomischen Fundamentaldaten tatsächlich gelöst haben, ist
zunächst einmal nebensächlich. Steigende Profite ergeben in der Regel steigende oder zumindest nicht sinkende Wertpapierrenditen. D.h. umgekehrt,
dass die Profite nur zu Lasten der Löhne und Gehälter steigen können. Stagnierende und sinkende Lohneinkommen sind deshalb die logische
Konsequenz höherer Wertpapierrenditen. Wird das System der Alterssicherung auf breiter Basis auf ein kapitalgedecktes Modell umgestellt, so ergibt sich
für die Relation von Profiten zu Löhnen/Einkommen in der realen ökonomischen Sphäre ein starker Druck auf die Beschäftigten
über eine zwingend notwendige Profitsteigerung in ihren Unternehmen. Ob dieser Konflikt zwischen Löhnen und Profiten intergenerativer gerechter ist,
als der Konflikt zwischen der notwendigen Beitragshöhe zur Finanzierung der zukünftigen Rentner, kann nicht behauptet werden. Nur eins wird erreicht,
der Druck auf die Löhne verschärft die Konflikte zwischen den Beschäftigten und verlagert die Verteilungsfrage auf die individuelle bzw.
betriebliche Ebene.
Hier zeigt sich das unlösbare Problem der Kapitaldeckung: Einerseits sollen viele
Lohnempfänger sich daran Beteiligen. Damit die Wertpapierrenditen in der Zukunft nicht fallen oder im Lauf der Jahre die Verzinsung gleich bleibt,
müssen aber die Profite steigen. Steigende Löhne sowie steigende Profite zu erzielen setzt aber eine Wachstumsrate voraus, die seit den 70er Jahren
gerade durch die neoklassische/neoliberalen Konzepte nicht mehr erreicht werden. (19) Ganz im Gegenteil befinden wir uns in der latenten Situation einer
deflationären Krise, deren Ausbruch u.a. durch Fusionen und den Verdrängungswettbewerb aufgeschoben werden. (20) Hinzu kommt, das bereits der
Einstieg in eine kapitalgedeckte Alterssicherung die Wachstumsraten reduziert und die oft prognostizierten positiven Beschäftigungseffekte nicht eintreten. (21)
Andererseits ergebe sich durch den massenhaften Einstieg in die private Alterssicherung ein hohes Kapitalangebot. Bereits die geplante Umstellung nach den
Riesterplänen würden pro Jahr 8,5 Mrd. DM (2001) angesammelt, die sich bis zum Jahr 2008 auf 78,4 Mrd. DM summieren und insgesamt 337 Mrd. DM
ausmachen würde. (22) Das neu gesammelte Kapital steht aber immer in Konkurrenz zum bereits angelegten bzw. flotierenden Kapital auf den
Finanzmärkten. Daraus ergeben sich die üblichen Reaktionen zwischen Angebot und Nachfrage: "Man kann nicht den Preis und die Menge
gleichzeitig festlegen. Wer mit steuerlichen Anreizen das Angebot an Kapital weltweit erhöhen will, muß zugleich sagen, daß dann die Rendite
für Kapital, der Zins, sinken muß, soll die Nachfrage steigen." (23)
Eine stärkere Belastung der jungen Generation (Doppelbelastung durch Beiträge im
privaten und öffentlichen System), ein damit verbundenes geringeres Wirtschaftswachstum, die negativen Effekte des Sharholder-Value Konzepts und die
aufgezeigte Notwendigkeit der Profitsteigerung sind zentrale Folgen der Einführung kapitalgedeckter Alterssysteme. Mit anderen Worten heißt das, die
Verteilungsfrage wird zu Lasten der Löhne entschieden und es schwindet die Möglichkeit, sich aus Lohneinkommen über die Jahre
überhaupt einen eigenen hohen Kapitalstock aufzubauen, der im Alter aufgelöst werden könnte, aus dem Mittel zum Alterskonsum zur
Verfügung gestellt werden. Um diesen Zusammenhang abschließend zu verdeutlichen wird im folgenden Abschnitt noch einmal genauer auf die Rendite
eingegangen.
7. Rendite statt Rente, geht das überhaupt?
Nach den Rentenreformplänen soll also das private Zwangssparen von Anfangs 0,5% des Bruttolohns (später 4%) und die daraus folgende
Anlage in Wertpapieren selbst den Beschäftigten mit niedrigen Einkommen eine bessere soziale Absicherung im Alter finanzieren. Auf die eine oder andere Art
wird behauptet, dass die Rendite hoch ausfallen wird. Die Erzählungen aus der schönen neuen Welt der ‚virtuellen Börsenwirtschaft‚ sprudeln nur
so über von Möglichkeiten und Chancen der Reichtumsmehrung. Aus den hohen Wertsteigerungen der Aktien in den letzten Jahren, wird erstens
geschlossen, dass dies auch weiter so bleibt und zweitens, dass die Bevölkerungsmehrheit daran partizipieren könne. Messen lassen müssen sich
diese Behauptungen an profanen ökonomischen Zusammenhängen, die auch von den Befürwortern des kapitalgedeckten Systems nicht
angezweifelt werden können. Zumal sie diese Elemente nutzen, um ihrerseits das Umlageverfahren zu kritisieren.
Betrachten wir zunächst einmal die Wachstumsrate der Wirtschaft. Einer der
angeführten Hauptgründe, die zum Finanzierungsdefizit in der sozialen Sicherung führen würde, wäre ein sinkendes oder
stagnierendes Wirtschaftswachstum in der Zukunft, aus denen die steigenden Ansprüche nicht mehr zu bezahlen sind. Angenommen die Wachstumsraten in den
nächsten 75 Jahren (der reale Projektionszeitraum jeder Berechnung der Alterssicherung) wird zumindest nicht höher liegen als in den letzten
Jahrzehnten, so gilt diese Annahme auch für den Wertpapiermarkt. Es wird unterstellt, dass die Rückflüsse aus dem angelegten Kapital die
zukünftigen Leistungen finanzieren können. Um das zu garantieren, muss das Wachstum des Wertpapiermarktes und die sich daraus ergebende Rendite
vergleichbar dem Wachstum der Vergangenheit sein. Wie gestaltet sich nun, bei Akzeptanz der Grundannahme über das Wirtschaftswachstum, das
Verhältnis von Wertpapierrendite und Wirtschaftswachstum bzw. welche Entwicklung ist in den nächsten 75 Jahren wahrscheinlich?
Jede Rendite setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: Den Dividenden, die an die Shareholder
(Wertpapierbesitzer/Anteilseigner) ausgezahlt werden und der Preisentwicklung der Wertpapiere (Differenz von Kaufpreis zu Verkaufspreis). Die Dividenden werden
direkt aus den Profiten des jeweiligen Unternehmens bezahlt, wobei die ausgeschütteten Dividenden z.Z. im Durchschnitt die Hälfte der Gewinne nach
Steuern ausmachen. Oder anders ausgedrückt, die Hälfte der Gewinne wird den Aktionären als Dividendenzahlung überlassen. Um die
Dividenden zu erhöhen gibt es also nur zwei Möglichkeiten. Entweder steigen die Profite und/oder die Ausgaben der Unternehmen werden zugunsten der
Shareholder reduziert. An dieser Stelle kann nicht darauf eingegangen werden, das die Kostenreduktion das Investitionsverhalten negativ beeinflusst und mittel- und
langfristig das Überleben von Unternehmen in Frage stellt, was sich wiederum nachhaltig auf das zukünftige Wirtschafts-wachstum auswirkt. (24) Dieser
Trend ist bereits heute zu beobachten und zeigt sich u.a. dadurch, dass Unternehmenswachstum zum großen Teil durch externes Wachstum (Fusionen und
Übernahmen) stattfindet und nicht durch internes Wachstum (Erweiterung und Investitionen in Sachkapital) getragen wird.
Der Zusammenhang von Rückflüssen/Renditen aus der Preisentwicklung der
Wertpapiere und den Unternehmensprofiten ist komplizierter. Die Preisentwicklung findet auf dem Wertpapiermarkt statt und richtet sich nach Angebot und
Nachfrage. Die Relation zwischen Preisen der Wertpapiere und Profiten der Unternehmen wird als ‚price-earning-ratio ausgedrückt. Gemessen am
Standard&Poors Index (25) betrug 1979 dies Verhältnis 7,4 zu 1, was der niedrigste Stand seit dem II. Weltkrieg war. Dieser erhöhte sich auf 44,3 zu
1 im Januar 2000. Ein ähnlich hoher Wert, der sich damit vergleichen ließe, wurde im September 1929 (32,6 zu 1) am Vorabend der Weltwirtschaftskrise
und des ‚Schwarzen Freitags an der Börse erreicht.
Interessant ist in diesem Verhältnis aber nicht die Entwicklung der Unternehmensprofite
(earnings), denn diese waren von 1871-2000 relativ moderat, sondern das ‚Überschießen der Preise der gehandelten Wertpapiere. Aufgrund des
hohen Schwankungsbereichs der Rate kann nicht genau festgelegt werden, wie die wirkliche Relation zwischen den Wertpapierpreisen und den
Unternehmensgewinnen tatsächlich beziffert werden müsste. Klar ist nur, dass es bei jedem ‚Überschießen immer zu lang
anhaltenden Kurskorrekturen durch Preisverfall kam und wohl auch wieder kommen wird. Die an der Börse gehandelten Preise spiegeln mehr die
zukünftigen Erwartungen wieder, als sich an den tatsächlichen Unternehmensdaten auszurichten. Werden die Erwartungen enttäuscht bzw.
verändert sich das ‚psychologische Klima, so kann wie im skizzierten Fall von positiven Erwartungen nun eine negative Dynamik einsetzen, die zum
Börsencrash führt. Der Crash alleine ist aber nicht das Problem, sondern die mittel- und langfristige Kurskorrektur nach unten. Im historischen Vergleich
zeigt sich, dass Boomphasen (bis 15 Jahre) immer mit gleich langen Abschwungphasen einhergingen. Die Relation von Preis und Unternehmensprofiten ist somit
immer gebunden an eine realistische Erwartung über die Entwicklung der Unternehmen und wird daneben an alternativen Anlageformen (z.B. Staatsanleihen)
bewertet. Um die Preis-Profit-Relation auf einem konstant hohen Niveau zu halten, müssen die Preise sich also am Wachstum der Profite orientieren und mit
einer ähnlichen Rate wachsen. Bei einem 10%igen Profitwachstum könnten die Wertpapierpreise (realistisch) ebenfalls um 10% steigen. Steigen die
Preise mehr als 10%, so steigt auch die Preis-Profit-Relation. Steigen die Preise weniger als 10%, so sinkt die Relation.
Mit diesen skizzierten Annahmen zum Wachstum, den Dividenden und dem Preisanstieg der
Wertpapiere als Summe der Rendite lässt sich folgender Sachverhalt konstatieren: Bleibt die Preis-Profit-Relation und die Dividendenzahlung konstant, so ist
die Rendite aus dem Preisanstieg der Wertpapiere gleich der Summe des Profitwachstums und der Relation von Dividenden zu Profiten. Was heißt das konkret?
Wachsen die Profite um 5% p.a. und beträgt die Dividendenzahlung auf die ausgegebenen Wertpapiere 2%, so beträgt die ‚Gesamtrendite aus
gehaltenen Wertpapieren 7%. Das 5%ige Profitwachstum eröffnet die Möglichkeit eines 5%igen Wachstum der Wertpapierpreise und die
Dividendenzahlung fügt diesem noch 2% hinzu [100 Einheiten werden gehalten; 2 Einheiten Dividende; 5%? (5 Einheiten) = totaler Rückfluss/Rendite
107 Einheiten]. Gerechnet wird bei der Projektion hinsichtlich einer kapitalgedeckten Alterssicherung häufig mit 7% an Rückflüssen aus
Wertpapieren (Dividenden plus Preissteigerung). Dem Riesterschen Reformansatz unterliegt eine ‚realistischere Rendite von 4% (im ersten Entwurf waren es
noch 5,5%). Aber selbst eine durchschnittliche Rendite von 3,5% ist schwer zu halten, sollten das Wirtschaftswachstum und die sich daraus ergebenden
Profitsteigerungen schwächer ausfallen als unterstellt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Rendite auf lange Sicht eher zwischen 1,5-2,5% liegen wird. (26)
Sieht man sich die Prognosen an, die eine Unmöglichkeit der Finanzierung des Umlagesystems
begründen, so findet man dort eine unterstellte langfristige, reale Rate des Wirtschaftswachstums von 1,5-2%.(27) In ähnlicher Größenordnung
wird das durchschnittliche (inflationsbereinigte) Profitwachstum der Unternehmen in den nächsten 75 Jahren liegen. D.h., verkürzt ausgedrückt,
dass es eigentlich realistisch nur ein Wachstum der Wertpapierrendite geben kann, die sich in einer ähnlichen Bandbreite entwickelt. Alle darüber
hinausgehenden Wachstumsraten (gerne wird zwischen 7-9% unterstellt) entbehren jeder realen Grundlage bzw. sind mit Korrekturphasen verbunden. Selbst die in der
Vergangenheit zu beobachtenden stärkeren Wachstumsraten der Rendite bei Finanzanlagen kommen häufig nur zu Stande, in dem ganz bestimmte
Perioden betrachtet werden, v.a. Boomphasen (z.B. der Börsenboom der letzten 8 Jahre). Für eine langfristige Betrachtung, die nun einmal zwingend ist
für die Aussagen über eine Alterssicherung und die den Zeithorizont über mind. zwei Generationen einbeziehen muss, sind die unterstellten hohen
Renditen nicht zu beobachten. Daneben wird außerdem unterschlagen, dass die hohen Renditen in den meisten Fällen nicht inflationsbereinigt sind und
sich die ‚hohen Renditen bei herausrechnen der Inflation (zwischen 2-4% pro Jahr) deutlich reduzieren.
Noch eine Bemerkung zur langfristigen Unmöglichkeit von Renditen zwischen 6-8%. Steigen
die Profite in Höhe der allgemeinen Wachstumsrate (ca. 1,5%) der Volkswirtschaft und wachsen die Dividenden (ca. 2%) ähnlich den Profiten, dann
muss, um eine größere Rendite zu erreichen, die Dividendenzahlung jedes Jahr in Relation zu den steigenden Wertpapierpreisen fallen. Um Renditen
über 3,5% zu erzielen, müssten also jedes Jahr die Rückflüsse aus den Preissteigerungen zu Lasten der Dividendenzahlungen anwachsen,
was die wiederum die Preis-Profit-Relation noch stärker steigen ließe: Bei 6% Rendite: 2015 (38 zu 1), 2035 (77 zu 1), 2055 (190 zu 1), 2075 (420 zu 1);
bei 7% Rendite: (45 zu 1), (117 zu 1), (380 zu 1), (1070 zu 1); bei 8% Rendite: 2075 (1800 zu 1). (28) Vergegenwärtigt man sich noch einmal, dass bereits die
gegenwärtige Relation von 44,3 zu 1 als mittelfristig vollkommen unrealistisch eingeschätzt wird, so sind die Projektionen über
‚exorbitante Renditeerwartungen reine Illusion und entbehren jeder realwirtschaftlichen Grundlage.
8. Wer gewinnt bei der Umstellung?
Nach der Klärung einiger Aspekte, die gegen die Einführung einer kapitalgedeckten Alterssicherung sprechen, kommen wir nun zur Frage, wer
von der Einführung profitiert. Es profitieren zunächst einmal Beschäftigte mit hohen Einkommen und Personen mit Einkommen aus
Gewinnen/Vermögen. Des weiteren sind bei der Umstellung des Umlage- auf das Kapitalstockverfahren u.a. drei Punkte für Unternehmen von Interesse.
Erstens zielt sie auf die Senkung der bereits erwähnten ‚Lohnnebenkosten, die
Bestandteile der variablen Kosten sind. Generell bedeutet die Reduzierung des Sozialversicherungsbeitrags der Arbeitgeber nach der betriebswirtschaftlichen Logik
eine Lohnsenkung. Die nicht mehr abzuführenden Zahlungen des Unternehmens werden nicht, statt in die Sozialkassen zu fließen, direkt an die
abhängig Beschäftigten gezahlt. Ausgedrückt in heutigen Zahlen und Preisen, werden ca. 30 Mrd. DM, ein knappes Sechstel der
Arbeitgeberbeiträge, von den Lohnnebenkosten in direkte Abzüge vom Bruttolohn verschoben. Einer Reduzierung der Ausgaben auf Unternehmerseite
steht damit in gleicher Höhe die Reduzierung des ver-fügbaren Einkommens bei den Beschäftigten gegenüber bzw. es würde eine
harte Ausein-andersetzung zwischen den Tarifparteien notwendig werden, um dies zu verhindern. Ansonsten ergebe sich kein Entlastungseffekt aus der Umstellung
vom Umlage- auf Kapitalstockverfahren. D.h., der einzelne Beschäftigte könnte zwar mehr Netto bekommen, jedoch würde der Lohn sich relativ
verringern um daraus einen höheren Anteil (in Relation) als bisher für die Altersversorgung individuell anzusparen.
Zweitens eröffnen sich für bestimmte Unternehmen durch das
Kapitalstockverfahren weitere Einnahmequellen. Um den Zugriff auf diese zusätzlichen Geldmittel, die bisher in den staatlichen Kassen gesammelt wurden,
tobt ein Konkurrenzkampf zwischen den Finanzinstitutionen wie Banken, Versicherungen, Fonds. Der im gegenwärtigen Reformansatz enthaltene 4%ige
private Vorsorgeanteil zur Finanzierung der späteren Rente macht nach heutigen Zahlen ca. 60 Mrd. DM aus. Verbunden ist damit eine steuerliche
Begünstigung und staatliche Förderung in der Endstufe 2008 im Volumen von 19,5 Mrd. DM. Alles in allem werden zwei Drittel des sich summierenden
Anlagevolumens aus öffentlich-rechtlichen Haushalten direkt als Zulagen oder indirekt als Einnahmeverzicht aufgebracht. Eine wichtige Funktion der geplanten
Rentenreform scheint deshalb die öffentliche Anschubfinanzierung für die ‚gepriesene Börsenkultur und eine direkte Förderung der
Profite, der auf dem Finanzmarkt tätigen Unternehmen und Institutionen zu sein. Vor allem die Investment- und Pensionsfonds sehen im kapitalgedeckten
System die Möglichkeit frisches Geld zu sammeln, um es dem Finanzkreislauf zuzuführen. Wachsende Anlagemöglichkeiten und die in Aussicht
gestellten Renditen und Kursentwicklungen erfordern bereits heute permanent die Zuführung von ‚neuem Geld, um den Preis der Wertpapiere und die
prognostizierten Renditen der Finanzanlagen zu stabilisieren.
Drittens spielt die Wertpapieremission eine wichtige Rolle bei der strategischen
Veränderung von Unternehmenshandeln und der strukturellen Neuausrichtung in ganzen Branchen. Auf verschiedenste Art wird den Unternehmen durch die
gänzliche oder teilweise Privatisierung der Altersvorsorge ‚neue Liquidität bereitgestellt, die sie für weitere Anlagen nach den Vorgaben
des Shareholder Value-Konzepts nutzen. Die Emission und der Kauf von Wertpapieren soll hier aber nicht damit verwechselt werden, dass über Wertpapiere
bzw. Börsen primär eine Investitionsfinanzierung in Sachkapital stattfindet. Als Investitionen gelten Ausgaben nur dann, wenn sie der Erhöhung
und der Aufrechterhaltung des Kapitalstocks dienen und so in der nächsten Produktionsperiode zusätzliche Werte geschaffen werden. Betrachtet man die
Ausgaben der Unternehmen, sei es im Ausland (Direktinvestitionen) oder Inland, so zeigt sich, dass die Gewinne aus der laufenden Periode und die Erträge aus
den Aktienemissionen zunehmend für Fusionen und Übernahmen eingesetzt werden. In den letzten 10 Jahren hat dadurch eine drastische Verschiebung
der Finanzierung zugunsten des Aktientausches stattgefunden. "1989 machte er nur 7% des Transaktionsvolumens aus, 93% liefen über Bargeld. 1999 war
der Anteil von Bargeld auf 21% gesunken, 70% entfielen auf reinen Aktientausch und 9% auf eine Mischform von beiden." (29)
Die spekulative Wertsteigerung von Unternehmen an den Börsen führt automatisch zur
weiteren Emission von Wertpapieren, denn aus Eigenmitteln der Unternehmen und Krediten sind die Wertsteigerung bei den folgenden Fusionen nicht mehr zu
bezahlen. Diese Wertpapiere müssen aber auch gekauft werden. Hier treten die institutionellen Anleger und die Privatanleger auf den Plan, denn nur die
Abnahme der ausgegebenen Wertpapiere ermöglicht die Fusion mittels Aktientausch. Um diesen Kreislauf überhaupt in Gang zu halten, müssen
Unternehmen des Finanzsektors international expandieren und die Geschäftsfelder erweitern. Die Privatisierung der sozialen Sicherung ist ein zentrales
Element bei der Durchsetzung neoliberaler/neoklassischer Wirtschaftspolitik (30) und sollte nicht auf die Frage der Sicherung der Altersversorgung begrenzt werden.
Mit Zahlen über die demographische Entwicklung zum Anwachsen der Rentnerzahl wird
versucht, die Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung eines Umlageverfahrens zu beweisen. Im Gegensatz dazu wird die private Vorsorge als stabilere Variante der
Alterssicherung dargestellt. Von der damit verbundenen Unsicherheit profitieren private Finanzinstitutionen, die u.a. Anlagemöglichkeiten in Wertpapieren als
Alternative anbieten. Hierbei kann sich der einzelne mittels privater Vorsorge möglicherweise besser stellen. Für die Masse gilt dieser Effekt nicht.
Geradezu paradox ist dabei, den Finanzmarkt, der durch eine hohe Volatilität, massive Krisenanfälligkeit, Korruption, Skandale sowie Bankrotte
gekennzeichnet ist, als ‚Fels in der Brandung gegenüber der staatlich organisierten Alterssicherung darzustellen. Das es gelingt, hat mit dem eingangs
erwähnten Werbefeldzug zu tun und ist Ausdruck des harten Konkurrenzkampfes auf dem Finanzmarkt, den wir abschließend betrachten wollen.
9. Finanzmarktkonzentration und kapitalgedeckte Alterssicherung
Nach den drei allgemeinen Gründen für den Unternehmenssektor gibt es spezielle Aspekte im Finanzsektor. (31) Aus den dort zu beobachtenden
Konzentrationsprozessen und Struktur-veränderungen lassen sich Gründe der Diskussion um die Zukunft der Alterssicherung ableiten. Um die
Zusammenhänge zu verstehen, ist der Konzentrationsprozess kurz zu skizzieren. Zur Zeit durchläuft der Finanzsektor in den OECD-Staaten eine Phase
starker Konsolidierung, die sich in einer Zunahme der Fusionen und Beteiligungen ausdrückt (Mergers&Aquisitions, M&A). Die in der
jüngsten Vergangenheit zu beobachtende Restrukturierung des führenden Marktes, des US-Marktes, überträgt sich dabei in Quantität
und Qualität auf den Euroraum. Gleichzeitig kam und kommt es im Zuge der Finanzmarktkrisen von 1998 zur ‚Bereinigung in Asien, Lateinamerika,
Russland etc. Die dort ansässigen Institute sind Bankrott und verschwinden vom Markt, fusionieren oder werden von ausländischen Instituten
übernommen, mit dem Ergebnis, dass weniger Institute als zuvor bestehen bleiben. Diese weltweite Restrukturierung umfasst den gesamten Angebotsbereich
der Finanzinstitute, die damit verbundenen Dienstleistungen und die Frage, was den zukünftigen Kernbereich ausmachen soll und welche Bereiche
‚outgesourct oder ganz abgestoßen werden. Generell lässt sich eine geographische Neuauf-teilung der Märkte und eine gleichzeitige
Erhöhung der Marktzutrittsschranken für neue Anbieter beobachten.
Wie bei allen Konzentrationsprozessen lassen sich unterschiedliche Phasen identifizieren. Der
Dreischritt vollzieht sich durch die nationale Konsolidierung über die regionale Verbindung bis hin zur internationalen Vernetzungen (Cross-border M&A).
Zunächst werden kleine und mittlere Unternehmen im nationalen Rahmen aufgekauft. Dem schließt sich der Kauf von größeren Einheiten
an, der dann einer nationalen/internationalen Fusion ‚unter Gleichen folgt. Die Fusion ‚unter Gleichen ist nicht wörtlich zu nehmen, denn
charakteristisch ist das Gegenteil. Der Mehrheitseigner bzw. die Unternehmensführung einer Gesellschaft bestimmt letztendlich, was mit dem anderen
Unternehmen geschieht. Aufgrund der Konzentration auf das Kerngeschäft und des Verdrängungswettbewerbs als treibende Kraft der
gegenwärtigen Fusionen/Übernahmen, ist die Zerschlagung des übernommenen Unternehmens bzw. das ungleiche Verhältnis zwischen Ziel-
und Bietergesellschaft betriebswirtschaftlich logisch. Die Aussage ‚unter Gleichen hat eher die Funktion einer semantischen Täuschung im Vorfeld von
Fusionen, wie jüngst bei der Diskussion um die Fusion der Deutschen Bank mit der Dresdner Bank und später mit der Commerzbank zu erkennen war.
Neben der Konzentration haben M&A die Funktion, bei sinkenden Profiten neue Institute mit
neuen Produkten zu akquirieren, um auf neuen Märkten (national und international) präsent zu sein, wobei das Geschäftsfeld verändert wird.
Beides findet sich in der Struktur-veränderung der Privatbanken, die sich vom konventionellen Kundengeschäft lösen und an den Funktionen der
Investmentbanken ausrichten wollen und müssen, da die Zinsmargen in den normalen Bankgeschäfte stark gesunken sind. Das Geschäft der
Investmentbanken umfasst die Unternehmensfinanzierung, die Betreuung und Beratung bei Fusionen und Übernahmen, bei der Emission von Wertpapieren und
die Vermögensverwaltung. Alles Bereiche mit hohen Umsätzen und Gewinnen für die angebotenen Dienstleistungen. Zusätzlich sind die
Geschäftsfelder international ausgerichtet, so dass die Internationalisierung der Produktion und die Liberalisierung der Finanzmärkte mit der
Internationalisierung der Bankgeschäfte den Rahmen der Globalisierung bildete und die Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen sich gegenseitig
verstärken. Gemessen am prozentualen Anteil aller weltweiten M&A-Aktivitäten in allen Sektoren spielen die M&A im Finanzsektor seit
Beginn der 90er Jahre eine immer stärkere Rolle (91/92 = 20,5%; 97/98= 38,3%).
Tab 1) Fusionen und Beteiligungen (M&A) im Banksektor
Der zuvor beschriebene theoretische Dreischritt der Konzentration wird durch die reale Entwicklung bestätigt. Neben der Fusion und Konzentration
zeigt sich, das es im gesamten Finanzsektor zu Quer- und Überkreuzbeteiligungen durch das Halten von Aktienpaketen kommt. Sowohl national als auch
international werden so die unterschiedlichen Geschäftsfelder (Bank, Versicherung und Wertpapiermanagement) miteinander vernetzt. Auch diese Re-
Strukturierung ist seit den 80er Jahren zu beobachten. Versicherungen und Investmentbanken kamen aus unterschiedlichen Richtungen und trafen sich verstärkt
im Bereich des Investment- und Fondsmanagements. Die Entwicklung setzte sich dahingehend fort, dass heute die normalen, konventionellen Bankhäuser in
den Bereich der Investmentbanken eindringen wollen, um die lukrativen Geschäftsfelder (s.o.) zu besetzen. Vor allem können sie so das eigene
Kreditrisiko bei der Kreditvergabe an ein Unternehmen über den Verkauf (die Emission) seiner Aktien minimieren und an die Anleger/Käufer
übertragen.
Die Vernetzung und Erschließung neuer Geschäftsfelder durch Banken, neue
Finanzkonzerne und Fonds führte im Versicherungsbereich, vor allem in der Sparte Lebensversicherungen, zu starker Konkurrenz. Auf diesem Markt herrscht
jedoch eine eher stagnierende Nachfrage aufgrund sinkender Löhne und es werden nun ähnliche Produkte angeboten, wobei die Banken ihre
Vertriebsstrukturen (Filialnetz) nutzen, um die Kunden an sich zu binden. Das Ergebnis ist, wie bei den Banken in den konventionellen Geschäftsfeldern, ein
Schrumpfen der Zinsmargen, sprich des Gewinns für die Versicherungen, so dass die Kostensenkung primäres Ziel im Versicherungsgewerbe wird. Dies
führt auch hier zur Konzentration aufs Kerngeschäft bei gleichzeitiger Internationalisierung, in dessen Zug sich Versicherungskonzerne von einigen
strategischen Überkreuzbeteiligungen an traditionellen Industrieunternehmen trennen, um so Kapital für den Kauf wichtiger Bestandteile für das
Kerngeschäft frei zu machen.
Aber nicht nur die Konzentration ist das Ergebnis. Auf der anderen Seite muss Nachfrage nach den
Produkten entwickelt werden. Hier findet sich ein wesentlicher Grund, der hinter der Diskussion um die Kapitaldeckung der Alterssicherung steckt: Das
betriebswirtschaftliche Interesse der Akteure am Verkauf ihrer Produkte auf sich konzentrierenden Märkten. Die Spargelder müssen in Wertpapiere
gelenkt werden und die damit verbundenen Dienstleistungen finanzieren, um so die Gewinne der dort tätigen Unternehmen zu sichern und zu erhöhen.
Zu diesem Zweck wird ein ‚gigantischer Werbefeldzug für die Geldanlage in Wertpapieren in Gang gesetzt. Es gelingt die Werbung in der Gestalt zu
präsentieren, dass sie primär als gemeinschaftsorientiertes Interesse zur Stabilisierung der Alterssicherung in der Zukunft wahrgenommen wird. Dabei ist
der Kostenaufwand für die Werbung und die Finanzierung der gesamten logistischen und organi-satorischen Infrastruktur für die private Alterssicherung
höher, als der Kostenaufwand in der öffentlichen Verwaltung zur Organisation der Alterssicherung, was die Anleger wiederum mit Abschlägen in
der eigenen Rendite bezahlen. (32)
Die zuvor beschriebene Konzentration und Vernetzung im Finanzsektor führt jedoch nicht
immer zur Gewinnsteigerung oder steigenden Zinsmargen. Ein Bereich, der die höchsten Gewinne abwirft ist das Segment der Vermögensverwaltung
(Asset- oder Portfoliomanagement). In der Gegenwart hat sich dieses Geschäftsfeld qualitativ und quantitativ gewandelt. Nicht zuletzt durch die in den letzten
Jahrzehnten angelegten Spargelder der abhängig Beschäftigten, die auf Bankkonten oder in Versicherungen platziert wurden. Hier haben wir einen
weiteren zentralen Funktionszusammenhang zwischen der Diskussion um die private Alterssicherung und den Finanzmarktakteuren. Die steigenden Vermögen
und daraus resultierenden anwachsenden Sparbeträge in den OECD-Nationen (Stichwort: Erbengeneration) verändert die Notwendigkeit der
Vermögensverwaltung auf institutioneller Ebene und macht es notwendig, kontinuierlich neue Anlagemöglichkeiten zu eröffnen und vor allem
höhere Renditen für das Kapital zu finden.
Alle Akteure versuchen sich in diesem Segment zu positionieren, da die zu erwartenden
Kapitalmittel, die zusätzlich aufgrund der Umschichtung in private Vorsorge mobilisiert werden könnte, ein gutes Geschäft versprechen. Je mehr
Kleinanleger auf den Markt treten bzw. dazu gezwungen werden, desto drängender wird die Frage, wo diese Gelder angelegt werden und wer dieses macht. Es
kommt in der Vermögensverwaltung zu einer Kombination von Managementfunktionen sowohl für institutionelle Anleger (Fonds, Banken und
Versicherungen) als auch für individuelle Privatanleger. Die in diesem Segment zu beobachtenden Fusionen sind am dynamischsten im gesamten Finanzsektor
und hier ist die Internationalisierung der größten Einheiten am ausgeprägtesten. Die Internationalisierung betrifft dabei sowohl die Anbieter der
Dienstleistung Vermögensverwaltung als auch die Anlage des zu verwaltenden Kapitals und das Sammeln von neuem, frischem Kapital. Dementsprechend
akquirieren die größten global agierenden Portfoliomanagement Gesellschaften ihr anzulegendes Kapital außerhalb ihrer Heimatregion (Barclays
Global Investors, UBS und AXA) und legen es wiederum auch global an.
Gegenwärtig gibt es in diesem Sektor keine eindeutige Marktführerschaft, obwohl nord-
amerikanische Institute eine große Rolle spielen. Aber der Markt in den USA und v.a. in Europa ist hoch fragmentiert und somit werden hier die nächsten
Konzentrationsprozesse stattfinden. Anders herum wird in der EU ein starker Wettbewerb für nötig erachtet, der durch eine weitere Deregulierung
angeheizt werden soll. (33) In diesem Zusammenhang steht der erwartete Richtlinienentwurf der Kommission zur Neuregelung der betrieblichen Altersvorsorge, um in
Europa als ersten Schritt einen echten Binnenmarkt für die betriebliche Altersvorsorge zu schaffen. "Die EU-Regeln sollen helfen, den
europäischen Kapitalmarkt ähnlich leistungsfähig wie den amerikanischen zu machen, etwa durch ein reichlicheres Angebot von
Risikokapital." (34) Die betriebliche Altersvorsorge wird deshalb in Zukunft stärker als bisher über Fonds abgewickelt bzw. gemanagt werden. In der
Betonung der betrieblichen Vorsorgesäule und der angestrebten Privatisierung der Alterssicherung liegt möglicherweise ein Grund für
Gewerkschaften, den Rentenreformplänen im Kern zuzustimmen.
10. Schlussbemerkung
Wie die zukünftige Rentenfinanzierung gestaltet wird zeigt u.a. an, in welche Richtung sich die Gesellschaft orientiert und an welchen politischen,
ökonomischen Konzepten sie ausgerichtet wird. Nun kommt man auch nicht umhin, die politischen Träger der Reformen zu identifizieren und sie
für deren Effekte verantwortlich zu machen. Vieles was zur Zeit der konservativ-liberalen Regierung noch unmöglich erschien, wird nun durch die
SPD/Grüne Regierung um- und durchgesetzt. Nach der Steuerreform 2000 liefert die Rentenreform weitere Elemente, die Umverteilung zu Gunsten von
Gewinnen und Vermögen auf eine neue Stufe zu heben. Bei allen Reformvorhaben zeigt sich, dass die sog. Neue Mitte eine reale Bezugsgröße
für die moderne Sozialdemokratie ist. Gerade die abhängig Beschäftigten mit mittleren bis hohen Einkommen können von den Reformen
profitieren. Der Neoliberalismus der Sozialdemokratie unterscheidet sich somit von den konservativen Ansätzen, die dieser gesellschaftlichen Schicht weniger
Aufmerksamkeit schenkte.
Einen Fehler bei der Einschätzung sollte man aber nicht machen, nämlich die Politik der
neuen Regierungskoalition nicht als neoliberal zu charakterisieren. Der Neoliberalismus entstand weder mit den konservativen Regierungen um Reagan, Thatcher und
Kohl Mitte der 80er Jahre, noch ist er ein statisches politisches Konzept. (36) Die Theorie wird vielmehr den jeweiligen Anforderungen angepasst und die
unterschiedlichsten politischen Subjekte und Gruppen können daraus Versatzstücke für die eigene Konzeption herauslösen. "Gerade
die Variabilität kennzeichnet den Neoliberalismus, denn wenn das theoretische Gebäude derart modifizierbar ist, kann rationale Kritik kaum greifen.
Neben dieser gewollten Unangreifbarkeit überdeckt die scheinbare Offenheit in erster Linie den universalen, unabhängig von Zeit und Raum formulierten
Gültigkeitsanspruch des neoliberalen Programms für Wirtschaft und Gesellschaft. Insgesamt stellt der Neoliberalismus eine internationale Richtung dar,
deren gemeinsames Ziel, eine zeitgemäße Legitimation für eine marktwirtschaftlich dominierte Gesellschaft zu entwerfen und durchzusetzen, unter
verschiedenen politischen und ökonomischen Bedingungen verfolgt wurde und wird." (36)
Es nützt nichts, die moderne Sozialdemokratie vom Vorwurf des Neoliberalismus
freizusprechen. Schaut man sich ihre wirtschafts- und finanzpolitische Konzeption an und misst sie an den bisherigen Reformen, so bleibt nur wenig vom traditionellen
Bild der Sozialdemokratie übrig. Mit der Rentenreform wird die soziale Polarisierung gefördert, auch wenn dies nicht intendiert ist. D.h. konkret, die
Verteilungskonflikte verschärfen sich und können zwischen den Beschäftigten eine neue Dimension erreichen. Auf der einen Seite sehen wir
Kernbelegschaften, die über Aktienoptionen stärker vergütet werden und deren Anteil an einer privaten Vorsorge durchaus steigen kann. Diese
Gruppe erscheint als primäre Klientel der Gewerkschaften, so dass die Zustimmung der Gewerkschaftsführung zur Rentenreform bzw. ihre verhaltene
Kritik durchaus mit den ökonomischen Interessen ihrer Klientel überein-stimmt. Auf der anderen Seite stehen die Beschäftigten in prekären
Arbeitsverhältnissen, Scheinselbstständige, Frauen oder generell Personen mit heterogener Erwerbsbiografie, die im unteren und mittleren
Einkommensbereich angesiedelt sind. In der Vergangenheit gab es die berechtigte Kritik an der Realitätsferne des Umlagesystems, da es sowohl die spezielle
Erwerbssituation der Frauen nicht berücksichtigt und auf der immer brüchiger werdenden Annahme des männliche Vollzeitbeschäftigten mit
relativ hohem Lohn und durchgängiger Anstellung (45 Jahre) basierte. Die Kritik gilt um so stärker im privaten System, denn die mit dieser
ökonomische Realität verbundenen Verteilungsprobleme können dort nie gelöst werden, da per se keine Umverteilungsansprüche
erfüllt werden können.
Die Ausrichtung auf den ‚Shareholder-Value-Kapitalismus wird sich also verstärken
und neue Sachzwänge schaffen, die in der Zukunft politisches Handeln beeinflusst. Alle Verteilungsaspekte und die Verschiebung von ökonomischer
Macht, verändertes unternehmerisches Handeln und politischer Effekte haben diejenigen zu verantworten, die die Privatisierung der Alterssicherung
durchsetzen. Wahrscheinlich werden sie dafür auf die eine oder andere Art politisch bezahlen. Es sollte klar geworden sein, dass sich eine Vielzahl von
negativen Effekten einstellen werden, denn die der Privatisierung der Alterssicherung unterliegende wirtschaftspolitische Konzeption wird den sozialen und
ökonomischen Problemen nicht gerecht. Die Frage ist deshalb eher, wie lange die Politik der Neuen Mitte tragfähig ist und wie stark und wie schnell die
sich daraus ergebenden ökonomischen Widersprüche zunehmen und gesellschaftliche Gegenkräfte reagieren werden.
1 Vgl. Shiller, R. J.: Irrational Exuberance, Princeton/New Jersey, 2000, S.71ff.
2 Die Staatsquote zeigt den Anteil des Staates (Bund, Länder, Kommunen sowie Sozialversicherungen) an der wirtschaftlichen Gesamtleistung eines
Landes und drückt das Verhältnis der gesamten öffentlichen Ausgaben zum Bruttosozialprodukt (BSP) aus.
2 Angaben nach: Fakten und Argumente, Heft Nr. 9 (Die Rentenversicherung bewährt, anpassungsfähig, zukunftssicher), Verband
Deutscher Rentenversicherungsträger, Frankfurt a.M., 2000.
3 Die Nettoreproduktionsrate sagt aus, wie hoch die Zahl der von einem Geburtsjahrgang der Frauen im Durchschnitt geborenen Mädchen ist. Eine
Nettoreproduktionsrate von 1 würde den Bestand der Bevölkerung sichern. Die Rate ist von 1,177 (1965) auf 0,604 (1985) gesunken und seit dem
auf diesem Niveau relativ konstant geblieben.
4 vgl. Steffen, J.: Der Renten-Klau Behauptungen und Tatsachen zur rot-grünen Rentenpolitik, Hamburg, 2000.
5 vgl. Clark, G.: Pension fund capitalism, Oxford University Press, 2000.
7 vgl. Baker, D./Weisbrot, M.: Social Security The Phony Crisis, Chicago University Press, 1999.
8 vgl. Burtless, G.: Social Security Privatization and Financial Market Risk: Lessons from U.S. Financial History, in: DIW Discussion Paper No. 211,
Berlin, 2000.
9 vgl. Kahrs, H.: Privatvorsorge: Der große Bluff Riesters Rentenreform entpuppt sich als öffentliche Anschubfinanzierung der
Börsengesellschaften, in: Junge Welt, 31.07.2000, Berlin.
10 Kennickell, A. B.: An Examination of Changes in the Distibution of Wealth From 1989 to 1998 Evidence from the Survey of Consumer
Finances, in: Jerome Levy Economics Institut; Working Paper 307, Bard College/USA, 2000.
11 Diese funktionieren nach dem Prinzip des "defined-contribution-funds". Der Arbeitnehmer zahlt monatlich einen Beitrag, der vom
Arbeitgeber ergänzt wird. Daraus folgende Zahlungen (investment incom) sind steuerfrei. Es gibt keine Garantie über die Höhe der
monatlichen Auszahlungen beim Renteneintritt. Bis Mitte der 80er Jahre dominierten die "defined benefit funds", in denen die Höhe der
Auszahlung festgelegt war. Für die Fonds ist jede Festlegungen ungünstig, da die Garantieübernahme immer mit Kosten verbunden ist bzw.
das Spekulationsverhalten bei der Anlage reduziert. Geringes Risiko bedeutet geringe Renditen und Einnahmen der Fonds für sich selbst.
12 vgl. Baker, D./Weisbrot, M. , a.a.O., S. 88ff.
13 vgl. Christen, C.: Shareholder Value Zum Zusammenhang von Managementkonzept, Kapitalmarkt und ökonomischer Krise,
Wirtschaftspolitisches Diskussionspapier Nr.1; Büro Ursula Lötzer (PDS Bundestagsfraktion), 1999.
14 Netzker, R.: Der Renten-Krieg, in: labournet.de 2000.
15 vgl. Bütler, M/Kirchsteiger, G.: Aging Anxiety: Much Ado About Nothing?, in: Cahiers de recherches économiques, Cahier 00.11,
Universite de Lausanne, 2000.
15 vgl. Henwood, D.: Wall Street How it Works and for Whom, London, 1998. Huffschmid, J.: Politische Ökonomie der Finanzmärkte,
Hamburg, 1999.
16 vgl. Doe, R.: Stock Market Capitalism: Welfare Capitalism Japan and Germany versus the Anglo-Saxons, Oxford University Press, 2000.
17 Mackenroth, G.: Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 4 ; Berlin,
1952, S. 41f.
18 vgl. Snooks, G. D.: Longrun Dynamics A General Economic and Political Theory, London, 2000.
20 vgl. Krugmann, P.: The Return of Depression Economics, London, 1999.
21 vgl. DIW Wochenbericht 46/99: Einstieg in die Teilkapitaldeckung der Altersversorgung mit Wachstumseinbußen verbunden; Berlin, 1999
22 vgl. Blomert, R.: Die Illusion des grenzenlosen Wachstums Die weltbeherrschenden Pensionsfonds bergen große Gefahren für
Arbeitsplätze und Alterssicherung, in: Berliner Zeitung Nr. 234; 7./8. Oktober 2000.
23 Flassbek, H.: Generationenvertrag versus private Vorsorge: Falsch Alternativen in der Rentendebatte, in: Handelsblatt, 18.7.2000.
24 vgl. Hirsch-Kreinsen, H.: Shareholder Value Zum Wandel von Unternehmensstrukturen und Kapitalmarktbedingungen, in: WSI Mitteilungen
5/1999, S. 322-331.
25 Der S&P Composite Stock Price Index ist aussagekräftiger als der Dow Jones Index oder der deutsche DAX, da der S&P wesentlich
mehr Aktienwerte umfasst und dessen Entwicklung an den historische Daten (Aufzeichnung ab 1871) am genausten abzulesen sind. Die dem Dow Jones
Index/DAX unterliegenden Daten sind hingegen zu "jung" und unpräzise, was jede Aussage und v.a. Prognose stark beeinträchtigt. vgl.
Shiller, R. J.; a.a.O., S. 5ff.
26 vgl. Baker/Weisbrot, a.a.O., S. 88ff.
27 vgl. Deutsche Bundesbank Monatsbericht Nr.12: Möglichkeiten und Grenzen einer verstärkten Kapitaldeckung der gesetzlichen
Alterssicherung in Deutschland, Frankfurt a.M., Dezember 1999. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: Group of Ten The Macroeconomic
and Financial Implications of Ageing Populations, Genf, April, 1998.
28 vgl. Baker/Weisbrot, a.a.O., S. 94.
29 Huffschmid, J.: Megafusionen und neue Ökonomie, S. 65, in: Bischoff, J. u.a.: Die Fusions-Welle Die Großkapitale und ihre
ökonomische Macht; Hamburg, 2000.
30 vgl. Christen, C.: Globalisierung und Beschäftigung - Mythos und Realität: Veränderungen nationaler Wirtschaftspolitik
durch internationale ökonomische Entwicklungen, Wirtschaftspolitisches Diskussionspapier Nr.2, Büro Ursula Lötzer (PDS
Bundestagsfraktion), 1999.
31 vgl. Financial Market Trends Nr. 75: Mergers and Acquisitons in the Financial Services Sector, S.123-140, OECD, Paris, 2000.
32 vgl. Baker/Weisbrot, a.a.O., S. 88ff.
33 vgl. Seifert, W. G. u.a.: European Capital Markets, London 2000.
34 Financial Times Deutschland: EU facht Wettbewerb bei Pensionsfonds an, Hamburg, 29.9.2000, S. 12.
35 vgl. Schui, H. u.a.: Wollt ihr den totalen Markt?, München, 1997.
36 Ptak, R.: Ordoliberalismus Zur Entwicklung des Neoliberalismus in Deutschland, in: Goldschmidt, W. u.a.: Neoliberalismus Hegemonie
ohne Perspektive, Heilbronn, 2000, S. 196.
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